Der Stein der Könige 1 - Quell der Finsternis
kommt herein, und mögt Ihr die Gnade der Götter mitbringen.«
Dagnarus konnte kaum hören, was der Mann sagte, denn aus dem Flur hinter der Tür drangen weitere schreckliche Schreie. Er hatte solche Schreie auf dem Schlachtfeld gehört, wenn jemand einen Pfeil zwischen den Beinen oder einen Speer in den Eingeweiden stecken hatte. Aber die Schreie hatte niemals lange gedauert.
Der Heiler hielt Dagnarus die Tür auf. Der Prinz ging hinein, und dazu brauchte er allen Mut, den er je besessen hatte, und darüber hinaus noch mehr Mut, von dem er nicht einmal gewusst hatte, dass er darüber verfügte. Die drei Paladine, die ihn beobachten sollten, begleiteten ihn. Sie hatten alle bereits ihre Prüfungen absolviert und wussten, was sie erwartete. Keiner von ihnen zeigte irgendwelche Gefühle oder ein Zögern.
Selbstverständlich nicht, dachte Dagnarus verbittert. Zweifellos würde ihre magische Rüstung sie vor der Ansteckungsgefahr schützen.
Er verfluchte sie lautlos und aus ganzem Herzen, als er in diese Hölle trat. Ihm fiel auf, dass die Hand des Heilers weiße Flecke aufwies – ein erstes Zeichen der Lepra.
Dagnarus schauderte. All seine Instinkte drängten ihn zur Flucht. Der Gestank des Todes und die Schreie der Gequälten verbanden sich zu einem wirbelnden Dunst des Entsetzens. Im nächsten Augenblick musste ihm der Mann mit der fleckigen Hand zu einem hölzernen Hocker helfen.
Als er diese kranke Hand auf seinem Arm sah, bemerkte, wie sie sein Gewand berührte, wich Dagnarus zurück. Beschämt darüber, dass er beinahe ohnmächtig geworden war, wusste er nicht, ob er wütender über sich selbst oder über die Situation war. Er stand so rasch auf, dass er den Hocker umkippte, der klappernd auf den Steinboden fiel.
»Ich danke Euch, Heiler«, sagte er durch zusammengebissene Zähne und warf einen schnellen Blick zu den Paladinen hin, die ihn gleichmütig betrachteten, »aber ich brauche Eure Hilfe nicht.«
»Schämt Euch nicht dieser kurzfristigen Schwäche, Euer Hoheit«, sagte der Heiler mit freundlichem Lächeln. »Die Tatsache, dass Ihr dem Leiden anderer gegenüber so empfindsam seid, spricht sehr für Euch.«
Dagnarus achtete kaum auf diese Banalitäten. »Was soll ich tun, Heiler?«, fragte er, entschlossen, diese lästige Angelegenheit so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. »Denkt daran, dass ich ein Krieger bin; meine Hände sind schwielig vom Schwert, meine Berührung nicht sonderlich sanft.«
»Als Erstes, Euer Hoheit, werde ich Euch zeigen, was wir hier tun. Viele haben falsche Vorstellungen von unserer Arbeit.«
Dieser Teil des Gebäudes war tatsächlich ein ganzer Flügel mit verschiedenen Zimmern, in denen Kranke mit unterschiedlichen unheilbaren Krankheiten lagen. Im ersten Teil waren die Aussätzigen untergebracht, die, von den am schlimmsten Verkrüppelten abgesehen, imstande waren, sich zu bewegen, sich miteinander zu unterhalten, bestimmte Arbeiten zu verrichten und ein beinahe normales Leben zu führen.
Dagnarus und die Paladine gingen weiter. Der Heiler sprach. Dagnarus klammerte sich fest an seinen Mut und seine Entschlossenheit und achtete nicht sonderlich darauf, was der Mann sagte. Der Heiler erweckte erst wieder sein Interesse, als er erklärte, dass Lepra nach seiner Ansicht nicht so ansteckend war, wie die meisten fürchteten.
»Nur sehr wenige von uns, die wir mit den Kranken arbeiten, stecken sich an«, meinte er. »Wäre diese Krankheit sehr ansteckend, dann sollte man erwarten, dass wir uns alle infizierten. Wir haben hier bei uns nur jene, die sich in einem fortgeschrittenen Stadium der Krankheit befinden, das die Knochen befällt und daher jede Bewegung schwierig macht. Eine Mischung aus Magie und der Anwendung von Chaulmoogra-Öl, das wir aus dem Land der Orks erhalten – es wird aus Bäumen gewonnen, die in den Tropen wachsen –, hilft, ihr Leiden zu mildern, und in einigen Fällen hat diese Kur sogar zerstörte Haut nachwachsen lassen.«
Dagnarus ging den Aussätzigen, deren Gesichter, Arme und Beine verbunden waren, so gut wie möglich aus dem Weg.
»Warum schreit dieser Mann so?«, fragte er schließlich und unterbrach damit den Heiler bei seinen gelehrten Ausführungen über den Wahnsinn, denn nun hatten sie die Aussätzigen hinter sich gelassen und gingen an mehreren Zimmern vorbei, in denen sich die Verrückten befanden, die eine Gefahr für sich selbst oder andere darstellten und die man deshalb in Einzelzellen untergebracht hatte.
Die
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