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Der Stein der Könige 1 - Quell der Finsternis

Der Stein der Könige 1 - Quell der Finsternis

Titel: Der Stein der Könige 1 - Quell der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Weis
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ihm zu antworten. Er gab sich selbst die Schuld. Sein Glaube war nicht so makellos, wie es der seines Vaters gewesen. Helmos war von seinem ganzen Wesen her ein Mann, der die Dinge mehr in Zweifel zog. Er hatte das, was die Götter taten, mehr als einmal hinterfragt, in Situationen, in denen sein Vater das Geschehene einfach hinnahm. Selbst jetzt spürte Helmos Widerspenstigkeit in seinem Herzen, wo doch nichts als Demut und Ergebenheit hätte herrschen sollen.
    Es ist nicht falsch, Fragen zu stellen, dachte er. Die Wege der Götter sind den Menschen nicht immer verständlich. Wer sind wir, etwas verstehen zu wollen, wenn wir nicht ganz offen nach dem Warum fragen?
    Warum habt ihr meine Mutter sterben lassen, als sie noch so jung war? Warum habt ihr sie uns genommen, als wir sie am meisten brauchten? Warum habt ihr Paladine geschaffen und damit ihr Gegenteil in die Welt entsandt? Warum zwingt ihr die anderen Völker nicht dazu, ihre vor den Göttern geleisteten Eide einzuhalten? Warum führt ihr ein störrisches Kind in Versuchung, dem Bösen zu verfallen? Warum gestattet ihr, dass dieses Kind zum Mann heranwächst, warum gewährt ihr ihm die Macht, ein Werkzeug des Bösen zu werden? Warum bringt ihr so viele ungewollte Kinder in die Welt, verweigert aber mir und meiner Frau, ein Kind zu haben? Warum verhärtet ihr die Herzen unserer Verbündeten, sodass sie uns nicht zu Hilfe kommen? Warum bringt ihr Tod und Elend zu einer Stadt der Schönheit und des Lichts? Warum kommt es mir so vor, als hättet ihr uns in unserer größten Not allein gelassen?
    Sein Herz wiederholte die Fragen, während seine Lippen um Hilfe flehten. Er betete, so ehrlich er konnte, aber seine Gebete waren nur ein Flüstern, offensichtlich nie laut genug, denn er glaubte nicht, dass jemand ihnen lauschte. Die Fragen seines Herzens hingegen, die er sich qualvoll entrang, Fragen, die feucht waren von seinem Herzblut, klirrten und dröhnten wie riesige Eisenglocken durch den ganzen Himmel.
    Er betete zu den Göttern, nicht kniend, sondern aufrecht stehend, er rief, er flehte, dass sie ihn anhören sollten. Er betete, bis er heiser, bis seine Kehle ausgetrocknet war, aber er hatte geschworen, er würde dieselben Mängel erdulden wie seine Männer. Kein Wasser, kein Essen, bis die Schlacht zu Ende und die Stadt gerettet war.
    Endlich, überwältigt von einer Erschöpfung, die eher aus dem Herzen und dem Geist kam als aus dem Körper, setzte sich Helmos aufs Bett, dasselbe Bett, auf dem sein Vater oft geruht hatte.
    Er schlief ein, obwohl er es nicht vorgehabt hatte.
    Er war wieder ein kleiner Junge, noch kaum in der Lage zu laufen, und er klammerte sich an das Gewand einer erwachsenen Person vor ihm. Er konnte von so tief unten nicht erkennen, wer das Gewand trug, aber er wusste, dass es sich um einen Erwachsenen von gewaltiger Größe handelte. Er stapfte hinterdrein, so schnell er konnte, klammerte sich an das Gewand, um nicht zu fallen, und er konnte seine eigene Kinderstimme hören: »Warum? Warum? Warum? Ich will, ich will, ich will. Warum? Warum? Warum? Ich will, ich will. Ich will. Warum? Warum? Warum?«
    Eine sanfte Stimme erklang weit über ihm. »Du wirst es sehen, wenn du die Augen schließt. Du wirst die Antwort erhalten, wenn du taub bist. Du wirst es verstehen, wenn du über jegliches Verstehen hinaus bist. Schöpfe Hoffnung: Die Vier können niemals Eins sein, aber mit der Zeit kann das Eine zu Vieren werden.«
    Sie hielten ihm ein helles, glitzerndes Schmuckstück hin. Er ließ den Gewandsaum los, um danach zu greifen…
    Helmos umklammerte den Stein der Könige.
    »Ich bin allein. Ihr habt in Rätseln gesprochen. Ihr kümmert euch nicht um uns. Ihr habt euch wahrscheinlich nie gekümmert. Hätte ich Kinder gehabt, dann hätte ich sie in die Arme genommen und ihre Fragen beantwortet, jede einzelne. Ich hätte mich über sie gefreut und sie geliebt, und wenn ich Vater von Tausenden gewesen wäre.«
    »Du wirst geliebt«, erwiderte die sanfte Stimme, »und unsere Kinder sind so zahllos wie die Sterne.«
    Tränen drangen ihm aus den fest zugekniffenen Augen, bittere Tränen, die ihm im Hals brannten, deren bittere Galle ihm beinahe die Kehle zuschnürte. Nach einiger Zeit bemerkte er, dass es an der Tür klopfte, und das schon seit einiger Zeit, denn er hatte es offenbar während seines gesamten Traumes gehört.
    Plötzlich erwachte er erschrocken.
    Die Not draußen musste groß sein, dass ihn jemand hier, im Portal der Götter, störte.

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