Der Stein der Könige 1 - Quell der Finsternis
unwissend zu stellen! Und dennoch würde Dagnarus ihm nicht glauben. Jeder, der wie Gareth Jahre seines Lebens im Tempel verbracht hatte, würde wissen, wo sich das Portal der Götter befand.
»Ja, Euer Hoheit, ich weiß es.«
»Was?«, fragte Dagnarus gereizt. »Murmle nicht so!«
»Ich weiß es.«
»Dann bring mich jetzt hin.«
Gareth zögerte. Dagnarus' Augen blitzten gefährlich.
»Versprecht mir… versprecht mir, dass Ihr ihn nicht töten werdet«, sagte Gareths schließlich, und ein Keuchen begleitete seine Worte.
»Ihn töten! Natürlich werde ich ihn nicht töten!«, rief Dagnarus wütend. »Ich bin doch kein Ungeheuer! Er ist mein Bruder. Außerdem soll er Zeuge meines Triumphs, meines Sieges werden! Und er wird mir von Nutzen sein. Vielleicht lasse ich ihn sogar Paladin bleiben. Sie werden selbstverständlich alle unter meinem Befehl stehen, und er könnte sich als nützlich erweisen. Nein, Fleck, Helmos muss mir nur den Stein der Könige übergeben, und dann werde ich ihn auf beide Wangen küssen und ihn an meine Brust ziehen.«
»Ihr wisst, dass er eher sterben würde, als das zu tun«, sagte Gareth.
»Hör mir zu, Fleck!« Dagnarus hatte Gareth gepackt, drückte seine Arme schmerzhaft und zog ihn näher an sich heran. Das Wolfsvisier des Helms schnitt Gareth ins Gesicht, die Spitzen stachen ihm in die Haut. »Ich werde dieses Portal finden. Ich werde den Tempel von oben bis unten durchsuchen, ich werde ihn Stein um Stein niederreißen lassen, falls das nötig sein sollte, aber ich werde es finden. Und eines solltest du wissen: Im Augenblick bin ich erfreut über meinen Erfolg und in gnädiger Stimmung. Aber wenn du mir in die Quere kommst, wenn ich diesen Tempel auseinander nehmen muss, um meinen Bruder zu finden, werde ich alles andere als gut gelaunt sein. Mein Zorn wird mit jeder Tür, die ich vergeblich öffne, größer werden, und wenn ich Helmos dann endlich finde, werde ich sehr dazu neigen, es einfach hinter mich zu bringen und ihn zu erwürgen.
Also, wie wäre es dir lieber? Wirst du mich jetzt zu meinem Bruder führen?«
»Ich bringe Euch zu ihm«, erwiderte Gareth.
Immerhin ist es vielleicht das Beste, dachte er. Zumindest werde ich auf diese Weise dabei sein, während Dagnarus mich sonst wahrscheinlich in seiner Wut zurücklassen würde, falls er mich nicht gleich umbringt.
Gareth hatte seine Magie noch nicht eingesetzt; das war nicht notwendig gewesen. Er fühlte sich recht kräftig. Helmos würde den Stein der Könige nicht hergeben, das wusste er.
Aber es bestand vielleicht die Möglichkeit, dass Gareth den einen Bruder vor sich selbst und den anderen auch gegen seinen Willen retten konnte.
Er ging voraus, rasch und sicher, bis zur Mitte des Tempels.
Er führte Dagnarus zum Portal der Götter.
Das Portal der Götter
Helmos saß in der Zelle, in der sich das Portal der Götter befand, auf dem Bett und hielt den Stein der Könige fest umklammert. Er betete nicht mehr zu den Göttern, dass sie einschreiten mochten. Sie würden nicht kommen. Sie würden die Mauern von Vinnengael nicht stürmen und den Feind mit flammenden Schwertern und goldenen Trompeten davontreiben.
Und warum, dachte er plötzlich, sollten sie auch?
Seine eigene Frage überraschte ihn vollkommen. Er dachte darüber nach.
Nun, selbstverständlich sollten sie. Wieder dachte er nach. Warum? Weil ich sie darum gebeten habe. Weil Vinnengael mir gehört und ich es behalten will.
Aber die Götter bauten keine Mauern. Die Götter bebauten nicht das Land, ernteten kein Getreide und Gemüse. Die Götter brachten keine Bücher in die Bibliothek, keine Betten ins Hospital. Ja, die Götter haben uns die Magie gegeben, damit wir versuchen können, jene zu heilen, die ins Hospital kommen, ebenso wie sie die Steine für die Mauern und die Augen zum Lesen der Bücher geschaffen haben. Und wer ist verantwortlich für die Mauern, die Bücher, die Betten? Sie, die uns die Mittel gegeben haben, all diese Dinge herzustellen, oder wir, die wir sie benutzt haben?
Die Götter haben uns die Portale gegeben, damit wir in die Länder unserer Brüder reisen und sie besser kennen lernen sollten. Und was haben wir getan? In unserer Angst haben wir sie versiegelt!
Er öffnete die Hand und schaute den Stein der Könige an. Er erinnerte sich an die Zeremonie, sah den Stein in den Händen seines Vaters – einen vollendeten Diamanten, makellos und glatt. Er sah, wie er in vier Teile zerfiel, und dann entdeckte Helmos, was sein Bruder
Weitere Kostenlose Bücher