Der Stein der Könige 1 - Quell der Finsternis
Stimme.
»Gut so!« Dagnarus tätschelte seinen Freund, als wollte er einen gehorsamen Hund belohnen. »Das ist gut. Es würde meinen Vater nur schrecklich kränken und beunruhigen. Und das wirst du doch nicht wollen, oder?«
Gareth schüttelte den Kopf. Er wusste genau, dass sich Dagnarus nicht im Geringsten um seinen Vater scherte. Hier ging es um etwas anderes – etwas, das Gareth nicht verstand oder nicht verstehen wollte.
»Wie können wir Silwyth je wieder gegenübertreten?«, fragte Gareth bedrückt. »Wie kann ich es ertragen, dass er mich anfasst, nachdem… nach dieser Sache.«
»Sei doch nicht albern!«, meinte Dagnarus verächtlich. »Hauptmann Argot hat Hunderte von Männern umgebracht, und es stört dich nicht, wenn er dich anfasst.«
»Das ist nicht dasselbe«, widersprach Gareth. »Argot hat diese Männer im Krieg getötet.«
»Das hier ist ein Krieg, Fleck. Nur eine andere Art davon. Eine elfische Art von Krieg. Komm schon. Wir sind ohnehin spät dran. Dunner wird sich schon fragen, wo wir bleiben.«
»Wieso starrst du mich so an, Gareth?«, fragte Silwyth an diesem Abend, als er den Jungen ihr Abendessen aus Kanincheneintopf und Brot servierte. »Gefällt dir plötzlich mein Gesicht nicht mehr?«
Dagnarus versetzte Gareth unter dem Tisch einen Tritt.
Gareth senkte den Kopf und starrte stattdessen das Essen an, das er nicht herunterwürgen konnte. Er konnte einfach nichts dagegen tun. Er hatte gesehen, wie Silwyth kaltblütig einen Menschen umgebracht hatte. Selbst ein Elf, meinte Gareth, sollte nach einer so schrecklichen Tat eine Spur von Gefühlen zeigen. Aber Silwyth war so ruhig wie eh und je. Dagnarus warf seinem Freund einen wütenden Blick zu und erinnerte ihn an sein Versprechen. Gareth gab vor, krank zu sein, und ging früh zu Bett.
Aber er konnte nicht schlafen. Durch seine geschlossenen Lider sah er immer wieder das Gesicht des sterbenden Lord Mabreton vor sich. Er sah Silwyths ausdrucksloses Gesicht, als er dem Mann das Messer in den Rücken stieß. Im Nebenzimmer, in Dagnarus' Schlafzimmer, hörte Gareth Silwyths Stimme, ruhig, ungetrübt, während er den Prinzen auf die Nacht vorbereitete.
Schaudernd wünschte sich Gareth, dass die Stimmen endlich verstummen würden. Aber dann wurde ihm klar, dass er vollkommen allein sein würde, wenn dies geschah, allein mit dem geisterhaften Gesicht des toten Elf. Er kroch aus dem Bett und drückte sich gegen die Tür. Er konnte das Zimmer des Prinzen nicht betreten, ohne sich Dagnarus' Verachtung zuzuziehen, vielleicht sogar seinen Zorn. Aber Gareth musste so nahe wie möglich an den Lebenden sein, um die Toten zu bannen.
Der Prinz war im Bett, und Silwyth wartete wie immer, bevor er den Prinzen für die Nacht allein ließ. Der Elf hatte eine Kerze in der Hand. Gareth konnte den Lichtschein unter der Tür sehen.
»Kann ich noch etwas für Eure Hoheit tun?«, fragte Silwyth wie jeden Abend.
»Ich hörte, dass Lord Mabreton den Hof verlassen hat. Kam sein Abschied nicht ein wenig plötzlich und unerwartet?«, fragte Dagnarus.
Gareth überlief angesichts der Waghalsigkeit des Prinzen ein Schaudern. Er öffnete die Tür einen Spaltbreit, denn er hatte Angst, dass Silwyth – der bereits einen Mord begangen hatte – beschließen könnte, nun auch den Prinzen umzubringen.
Silwyth antwortete nicht sofort. Er sah Dagnarus an, der dem Blick des Elfen begegnete und ihn kühl erwiderte.
»Nicht ganz unerwartet«, brach Silwyth schließlich das Schweigen. »Man ließ ihm eine Wahl, und er hat sie getroffen.« Er hielt einen weiteren Augenblick inne, dann meinte er: »Ich habe mich gefragt, warum Gareth mich beim Essen so seltsam angesehen hat, als könnte ich ihn verschlingen. Habt Ihr gesehen, was passiert ist?«
Dagnarus nickte. Gareth schloss die Augen und fürchtete das Schlimmste.
Silwyth hielt die Kerze ganz ruhig; die Flamme flackerte nicht.
»Habt Ihr verstanden, was Ihr gesehen habt, Euer Hoheit?«
»Nicht ganz«, gab Dagnarus zu. »Fleck spricht Eure Sprache nicht so gut. Ich weiß, dass sowohl der Schild als auch Lord Mabreton den Stein der Könige für sich haben wollten. Warum musste der Lord sterben? Warum ist er nicht einfach gegangen, wie der Schild es ihm befohlen hat? Warum hat der Schild ihn nicht gehen lassen?«
»Wenn er den Palast ohne den Stein der Könige verlassen hätte, hätte Lord Mabreton in seiner Pflicht gegenüber dem Göttlichen versagt. Er hätte das Gesicht verloren. Er hätte entehrt nach Hause
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