Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
Mauern daran, wie fremd diese Feinde waren, wie seltsam und unbekannt.
In dieser Nacht fand in Dunkar niemand Schlaf. Die aufgeregten, entsetzten Bürger drängten sich auf den Straßen und verbreiteten Gerüchte, die mit jeder neuen Version schrecklicher wurden. Kommandant Drossel hatte Schwierigkeiten, sich durch die Menschenmengen zu drängen und wünschte sich, er hätte den Umhang über die Uniform gezogen. Er kam keine drei Schritte weit, ohne dass ein beunruhigter Zivilist ihn als Armeeangehörigen erkannte, sich an ihn hängte und ihn anflehte, die Nachrichten oder das neueste Gerücht zu bestätigen.
Drossel schüttelte sie mit einem ungeduldigen »Das ist Sache des Königs!«, ab und ging weiter, wobei er jene wegstieß oder zur Seite schob, die zu aufdringlich waren. Er würde ohnehin zu spät kommen, und obwohl ihn das ärgerte – er war ein ausgesprochen pünktlicher Mensch –, kümmerte es ihn doch nicht sehr. Seine Männer würden ohne ihn nirgendwohin gehen.
Kommandant Drossel war vierzig Jahre alt, geborener Dunkarganer und in der Hauptstadt aufgewachsen. Er hatte sich früh der Armee angeschlossen, nicht aus einem Gefühl der Treue zu seinem Land – sein Land war ihm verdammt egal –, sondern weil er gehört hatte, dass man mit ein wenig Schlauheit und einem gewissen Maß an Tücke in der Armee recht weit kommen konnte. Man musste nur der Versuchung widerstehen, ein Held werden zu wollen, denn das konnte einen umbringen. Drossel hatte nun schon seit mehr als zwanzig Jahren in der Armee überlebt, indem er kein Held geworden war. Er achtete darauf zu kämpfen, wenn seine Vorgesetzten zusahen, und war vorsichtig, wenn sie nicht hinschauten. Er war durch eine Mischung aus Verrat und Bestechung aufgestiegen. Alle wussten das, und niemand nahm es ihm übel. So war es nun einmal in der Armee von Dunkarga.
Er hatte sich vor fünfzehn Jahren der Anbetung der Leere zugewandt, nach einer Liebesaffäre, die schlecht ausgegangen war. Er war durch die Straßen von Dunkar geirrt und hatte darüber nachgedacht, ob er sich mit Hilfe von Gift an der kleinen Hure rächen sollte. Mit diesem Gedanken hatte er den Laden eines Alchemisten betreten und dem Besitzer erklärt, er bräuchte etwas, um Ratten umzubringen.
Der Besitzer hatte gleich geahnt, um was für eine Art Ratte es ging, ein paar Fragen gestellt und schließlich einen Trank vorgeschlagen, der eine viel bessere Wirkung haben würde. Das war allerdings teuer gewesen, sowohl in finanzieller Hinsicht als auch, was Drossels eigene Haut anging, denn Magie der Leere nimmt immer ein wenig von der Essenz des Lebens und bewirkt Pusteln und Risse in der Haut. Drossel konnte den größten Teil davon mit dem weiten Hemd bedecken, wie es die Dunkarganer trugen. Er hatte ohnehin nie sonderlich gut ausgesehen, klein und drahtig wie er war, mit seinem dunklen Haar und den blinzelnden, schwarzen Äuglein. Die Pusteln auf seinem Gesicht wurden vom Bart verborgen.
Das Opfer war die Anstrengung wert gewesen. Der Trank, in ihren Wein gemischt, hatte die Hure von einer üppigen, eitlen Schönheit in eine knochige Hexe verwandelt. Das Mädchen hatte gewusst, dass sie von der Leere verflucht war und geahnt, wer es getan hatte. Sie hatte versucht, Drossel dafür vor Gericht zu bringen, aber er war ein anerkannter Soldat und sie war eine Hure, also glaubte ihr niemand. Ihres guten Aussehens und damit ihrer Möglichkeiten beraubt, Geld zu machen, war sie tiefer und tiefer gesunken und schließlich tot im Fluss gefunden worden.
Erfreut über die Macht der Leere, hatte sich Drossel von einem Praktizierenden in ein paar Geheimnisse einweihen lassen. Seine Kenntnisse hatten ihn schließlich dorthin gebracht, wo er heute war, auf einen hohen Rang in der Armee von Dunkarga, wo er alles tat, was er konnte, um diese Armee insgeheim von innen her zu zerstören – im Namen von Dagnarus, Lord der Leere.
Drossel schob sich durch die verängstigten Massen, verfluchte sie herzlich und atmete erleichtert auf, als er endlich eine Seitenstraße erreichte, die einigermaßen leer war. Das größte Gedränge herrschte im Kneipenviertel, weil die Leute üblicherweise dorthin gingen, wenn sie Neuigkeiten erfahren wollten. Das Kaufmannsviertel, besonders dieser Teil davon, war ruhig. Die Läden waren schon lange verschlossen und vernagelt, und jene, die über den Läden wohnten, waren in die Kneipen oder zu Verwandten gegangen, um ihre Ängste zu ersticken.
Er dachte einen Augenblick darüber
Weitere Kostenlose Bücher