Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
hätte sofort gegen mich kämpfen müssen.«
»Hätte ein anderer Taan das Fleisch nach ihm geworfen, wäre das tatsächlich eine Beleidigung gewesen«, erwiderte Dur-zor mit einem mitleidigen Lächeln. »Du bist ein Sklave, Rabe. Nichts, was ein solch niedriger Wurm tut, könnte einen Krieger beleidigen.«
Bedrückt sackte Rabe gegen seinen Pfosten zurück. Er erinnerte sich daran, wie oft er irgendwo auf der Lauer gelegen hatte, manchmal tagelang, bis sein Wild endlich vorbeikam, bis der Elch auf die Lichtung herauskam und Rabe die Gelegenheit zu einem sauberen Schuss erhielt, oder bis ihm ein Eber ins Netz ging. Er war hier in einer ganz ähnlichen Situation, sagte er sich. Er musste geduldig sein und abwarten, zumindest so lange er noch Zeit hatte.
»Erzähl mir von dieser Kriegerin«, sagte er.
»Sie heißt Dag-ruk«, antwortete Dur-zor. »Sie ist die Jagdmeisterin. Eine berüchtigte Kriegerin, erprobt in vielen, vielen Schlachten. Sie hat viele, viele Sklaven genommen. Unser Gott selbst hat ihr den Helm gegeben, den sie trägt. Viele glauben, dass sie beim nächsten Gottestag zum Nizam – dem Oberhaupt der Kampfgruppe – ernannt wird.«
»Hat sie einen Gefährten?«, fragte Rabe, der dachte, dass ihr Gefährte vielleicht Qu-tok war und sich fragte, wie sich das auf seine Rachepläne auswirken würde.
Dur-zor schüttelte den Kopf. »Nein, Dag-ruk will sich nicht vom Kinderkriegen aufhalten lassen. Daher gestattet sie es niemandem, sich zu ihr zu legen. Es heißt allerdings, dass sie ein Auge auf einen Schamanen der Kampfgruppe geworfen hat.«
Schamanen, hatte Rabe erfahren, beherrschten die Magie der Leere. Sie dienten den Taan als Magier und waren finstere, furchterregende Geschöpfe. Selbst die Taan fürchteten sie – so schien es zumindest, denn jedes Mal, wenn einer ins Lager kam, strengten sich sämtliche Taan, auch die Krieger, ungeheuer an, um ihm alles recht zu machen, und behielten ihn die ganze Zeit im Auge.
Zunächst war es Rabe schwer gefallen, die Schamanen von den anderen Taan zu unterscheiden. Tatsächlich hielt er den ersten, den er sah, für einen Sklaven, denn dieser Taan trug keine Rüstung, sondern nur Streifen von Tuch, die seine Brust, seine Lenden und die Oberschenkel bedeckten. Er hatte keine Waffen und nur wenig Narben an Armen oder Kopf. Rabe war überrascht zu sehen, dass die anderen Taan ihn so verehrten, und Dur-zor erklärte, es handele sich um R'lt, den Schamanen der Kampfgruppe.
»Er hat die rituellen Narben«, versicherte Dur-zor Rabe. »Und viele, viele magische Steine unter der Haut. Er hat mehr Narben und mehr Steine als alle anderen Taan in der Kampfgruppe. Aber er zeigt sie nicht, sondern verbirgt sie unter dem Tuch. Daher halten ihn seine Feinde, wenn er in die Schlacht zieht, für einen Schwächling und werden um so leichter zur Beute seiner Magie.«
Die Taan-Truppe blieb im Lager vor der eroberten Stadt Dunkar. Innerhalb der Mauern brachten Vertreter des Taan-Gottes das Volk von Dunkarga unter dessen Herrschaft, beschlagnahmten Vorräte und bereiteten sich darauf vor, den Krieg in andere Länder zu tragen. Rabe wusste das alles, jedoch nicht aus erster Hand, sondern nur von Dur-zor.
Einmal am Tag, kurz vor dem Abend, brachte ihm die Halbtaan-Frau Essen und Wasser und durfte ein Weilchen bei ihm bleiben und mit ihm sprechen. Rabe wusste, dass es ihr offiziell erlaubt war, denn er konnte sehen, dass Qu-tok sie im Auge behielt. Wann immer der Taan glaubte, dass das Gespräch lange genug gedauert hatte, schrie er Dur-zor einen Befehl zu, und sie kehrte zu ihm zurück. Das tat sie so schnell, dass sie oft mitten im Satz aufsprang, um nicht für ihr Zögern bestraft zu werden.
»Warum lässt er zu, dass du mich besuchst, Dur-zor?«, fragte Rabe an diesem Abend, als sie sich zu ihm in den Dreck hockte. Sie blieb immer weit genug entfernt, dass er sie nicht erreichen konnte. Misstrauisch fügte er hinzu. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass er es aus Freundlichkeit tut.«
»O nein«; antwortete Dur-zor lächelnd. »Qu-tok sagt, ich sei eine Qual für dich, deshalb schickt er mich und deshalb lässt er mich bleiben.«
»Eine Qual?«, fragte Rabe verwundert. »Wieso sollst du mich quälen? Du hast mich nie auch nur berührt.«
»Qu-tok glaubt, dass du dich zu mir legen willst«, erklärte Dur-zor grinsend. »Und je näher ich dir komme, desto mehr quält es dich, weil du mich haben willst und nicht haben kannst. Ich weiß, dass das nicht stimmt«, fügte sie
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