Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
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»Was ihr Menschen einen Stab nennt, nur dass es eine Holzkugel an einem Ende und eine Steinkugel an dem anderen hat. Man packt es an der Holzkugel«, – sie demonstrierte das mit einer imaginären Waffe – »und schwingt den Stab so.«
Rabe hatte Taan mit solchen Waffen gesehen. Er hatte geglaubt, dass sie sie wie einen normalen Stab benutzten, ihn also mit beiden Händen in der Mitte packten. Er war überrascht, von dieser anderen Methode zu hören, aber er erkannte, dass sie Vorteile haben mochte.
»Sie haben dir beigebracht, eine Waffe zu benutzen?«
»Selbstverständlich«, erwiderte Dur-zor. »Wenn die Krieger in den Kampf ziehen, halten die Arbeiter und die Halbtaan Wache. Wir müssen wissen, wie wir die Kinder verteidigen können, falls das Lager angegriffen wird.«
Dies war wichtig zu wissen. Bei Arbeitern, das wusste er von Dur-zor, handelte es sich um Taan, die keine Krieger und keine Schamanen waren. Die Arbeiter waren männliche und weibliche Taan, die sich um die Bedürfnisse der Krieger kümmerten: sie kochten das Essen, das die Krieger brachten, hielten das Lager sauber, kümmerten sich um die jungen Taan.
Obwohl die Arbeiter die Krieger stets mit Ehrfurcht behandelten, achteten die Krieger auch die Arbeiter und misshandelten sie nicht, wie sie es mit den Sklaven und den Halbtaan taten. Dennoch, Rabe hatte nie einen Arbeiter mit einer Waffe gesehen. Er würde sich das merken müssen.
Er wollte noch mehr Fragen stellen, aber Qu-tok war anscheinend der Ansicht, Rabe sei genug gequält worden, und rief Dur-zor zu sich. Die Frau gehorchte sofort, aber als sie sich umdrehte, sagte sie noch rasch über ihre Schulter: »Morgen ist ein Gottestag.«
Rabe sprang auf, streckte die Hand nach ihr aus, versuchte, sie aufzuhalten, um ihr weitere Fragen zu stellen. Seine Kette riss ihn zurück, und er starrte Dur-zor auf eine Art hinterher, die den beobachtenden Qu-tok ausgesprochen amüsierte, denn er grinste breit, lachte und machte Bemerkungen zu seinen Mitkriegern. Weil er gut gelaunt war, schlug Qu-tok Dur-zor nicht, sondern trat sie nur, als sie vor ihm niederkniete, und schickte sie wieder an die Arbeit.
Rabe sackte neben seinem Pfahl nieder. Wieder einmal versuchte er, seine Ketten zu zerreißen – eine vergebliche Übung, und eine, die ihm nicht half.
Morgen würde ein Gottestag sein. Dur-zor hatte gesagt, dass man ihn an diesem Tag in ein Sklavenlager schicken würde. Sobald das geschehen war, würde er niemals mehr die Gelegenheit erhalten, sich an Qu-tok zu rächen. Er würde als Sklave und in Schande sterben. Nie würde er mit den geachteten Toten seines Volkes reiten, nie würde er sich ihren Kämpfen im Himmel anschließen können, wenn sie zusammenkamen wie an jenem Abend, als sie um die Seele des sterbenden Ritters kämpften. Die anderen Krieger würden sich von ihm abwenden.
Er versuchte, einen Plan auszuhecken, aber schließlich gab er auf. Er hatte keine Ahnung, was geschehen würde und was ein solcher »Gottestag« mit sich brachte. Würde er tatsächlich einem Gott gegenüberstehen? Rabe hatte keine Ahnung. Er schlief ein, angekettet wie immer und entschlossen, am nächsten Morgen früh aufzuwachen, seine Gelegenheit abzuwarten und sie zu ergreifen.
Das ganze Taan-Lager war am nächsten Tag früh wach, denn von den Kämpfen einmal abgesehen, waren diese Gottestage die Höhepunkte im Leben der Taan. Die Krieger kamen aus ihren Zelten und trugen jedes Stück Rüstung, das sie besaßen, selbstverständlich auf Hochglanz poliert. Sie hatten auch Schmuck aus Perlen und Federn, Schädeln und Skalps angelegt. Jene Krieger, die noch nicht im Kampf gesiegt hatten, trugen Rüstungen aus Knochen, die an schweren Lederhemden angebracht waren, oder in einigen Fällen überhaupt keine Rüstung, sondern statt dessen nur einen Lendenschurz, damit man ihre Narben und die Edelsteine sehen konnte, die sie unter die Haut geschoben hatten.
Die Krieger, Männer und Frauen, versammelten sich, und aus ihren Gesten schloss Rabe, dass sie einander von früheren Schlachten erzählten. Die Arbeiter und Taan-Kinder, die Halbtaan und die menschlichen Sklaven reinigten das Lager, fegten sogar den Boden mit Reisigbesen, um Steine und Stöcke, abgenagte Knochen und anderen Abfall aus dem Weg zu schaffen. Der Schamane R'lt erschien, gekleidet in ein langes, schwarzes Gewand, das Fell einer Wildkatze um die Schultern. Er wurde von zwei jungen Taan begleitet, die jede seiner Bewegungen und Gesten
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