Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
Zeichen trug sie auf der Rückseite ihrer Tunika.
Elfen ehren den Raben als einen königlichen Vogel von rascher Auffassungsgabe, Furchtlosigkeit und großem Stolz. Angeblich war diese Damra eine Verkörperung der dem Vogel zugeschriebenen Eigenschaften. Lady Godelieve konnte nichts weiter darüber herausfinden, aber sie dachte, dass der Titel vielleicht auch etwas mit Damras Ähnlichkeit mit einem Vogel zu tun hatte. Sie war keine schöne Frau mit der ausgeprägten Nase ihrer Familie und den durchdringenden, schwarzen Augen. Ihre Schultern waren breit und kantig, und sie bewegte sich wie ein Mann – sie machte feste, lange Schritte und nicht die kürzeren, anmutigeren Schritte einer Elfenfrau von adliger Geburt.
Damra verließ ihr Haus und kam dabei ganz in der Nähe der Stelle vorbei, wo Lady Godelieve sich hinter der Hecke verbarg, was ihr einen guten Blick auf den Paladin bot.
Im Augenblick sah Damra von Gwyenoc nicht aus wie ein rebellischer Paladin. Sie wirkte bleich und abgehärmt, und als sie nun einen raschen Blick zurück zum Gästehaus warf und leise seufzte, hatte Lady Godelieve den Eindruck, dass Damra am liebsten mit ihren Gedanken allein sein und dem Durcheinander all dieser Diener entgehen wollte, die sich überschlugen, um für ihre Bequemlichkeit zu sorgen. Lady Godelieve wartete, bis Damra außer Sichtweite war, dann betrat sie ihr eigenes Gästehaus.
Sie schickte die Diener weg und erklärte, sie wolle beten und sich mit ihrem Ehrenwerten Ahnherren beraten. Nachdem sie nun sicher sein konnte, dass sie niemand mehr stören würde, schloss sie die Läden an den Fenstern und verriegelte die Tür.
Sie griff in die Falten ihrer Schärpe und zog ein Messer heraus, das aus Knochen gemacht war. Dieses Messer war einmal weiß und schimmernd gewesen, nun begann es zu vergilben, und die Spitze war schwarz von Blutflecken.
Sie hielt das Messer in der Hand und strich leicht darüber. Einen Augenblick lang schien es, als dringe eine schwarze, zähe Flüssigkeit aus jeder Pore ihrer Haut. Die Tröpfchen der Flüssigkeit verliefen miteinander, bis es schließlich so wirkte, als wäre ihr ganzer Körper mit glänzend schwarzem Öl überzogen. Dann veränderte sich die Rüstung und wurde fest, so dass sie undurchdringlicher war als der härteste Stahl, den die berühmten Zwergenschmiede herstellten.
Mit dem Messer in der Hand kniete der Vrykyl nieder.
»Herr«, sagte die Kreatur.
»Valura!« Dagnarus antwortete sofort. Sie spürte seine Ungeduld, seine Gier, obwohl solche Gefühle normalerweise nicht durch das Blutmesser übertragen wurden. Sie spürte sie dennoch, weil sie ihn kannte, gut kannte und liebte. Nach zweihundert Jahren liebte sie ihn immer noch. Und das war eine Schande.
Valura hatte ihm alles geopfert, ihm alles gegeben, ihren Körper, ihre Ehre, ihre Seele. Für ihn hatte sie Unschuldige getötet, und sie würde weitere töten, denn dies entsprach nun ihren Bedürfnissen. Sie war sein Geschöpf. Er hatte sie zu diesem Ungeheuer gemacht, das keine Ruhe, keinen Frieden finden konnte. Sie konnte es ihm nicht übel nehmen. Sie selbst hatte den Entschluss gefasst, sich der Leere zu weihen. Als sie wusste, dass sie sterben würde, hatte sie ihn angefleht, sie in einen Vrykyl zu verwandeln, damit sie stets bei ihm bleiben konnte. Er hatte ihr Blut getrunken. Sie hatte ihm die Essenz ihres Lebens gegeben. Ihre Vereinigung war etwas ganz und gar Unheiliges, nicht von den Göttern gesegnet, sondern verflucht. Die beiden waren durch die Leere miteinander verbunden.
Und im selben Augenblick, in dem sie sich verbanden, hatte Valura ihren Geliebten verloren.
Dagnarus brauchte Valura. Er verließ sich auf sie. Dessen war sie sich gewiss. Neben Shakur, dem ältesten seiner Vrykyl, war Valura die mächtigste. Und von allen, Shakur eingeschlossen, stand Valura am treuesten zu Dagnarus. Aber er, der sie einmal geliebt hatte, hasste sie nun. Jedes Mal, wenn er sie ansah, erkannte Valura den Hass in seinem Blick. Er verabscheute sie, aber die wahre, geheime Abscheu galt ihm selbst und dem, was aus ihm geworden war. Er konnte sie nicht in seiner Nähe ertragen. Er konnte es aber auch nicht ertragen, ohne sie zu sein.
»Ist alles vorbereitet?«, wollte er wissen.
»Ja«, erwiderte sie. »Der Sturz des Göttlichen ist gesichert. Der Schild ist alles, was man sich wünschen kann – gierig, ehrgeizig und viel zu überzeugt von seiner eigenen Schlauheit. Er ist Wachs in deinen Händen.«
»Was ist mit diesem
Weitere Kostenlose Bücher