Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
dass sein Freund ihm diese Frage stellen würde. Jessans Onkel Rabenschwinge, ein Söldner in der Armee von Dunkarga, hatte seinem Neffen ein paar Worte in der Gemeinsamen Handelssprache von Loerem beigebracht. Rabe hatte seinen Neffen auch ein wenig lesen gelehrt, vor allem, was er für die wichtigsten Worte für einen Krieger hielt. »Tempel« und »Heilkunst« waren unter den ersten gewesen.
»Wahrhaftig!« Bashae war beeindruckt. Er beherrschte die Gemeinsame Sprache, konnte aber nicht lesen, nicht einmal in seiner eigenen Sprache. »Ein Tempel der Heilkunst! Dann müssen wir dort hin. Sofort.«
»Warte.« Jessan packte seinen Freund am Arm und hielt ihn zurück. »Noch nicht.«
»Aber deshalb bin ich hier«, erklärte Bashae. »Ich wollte die Edelsteine gegen Heilsalben und Heiltränke eintauschen.«
»Ja«, meinte der erfahrenere Jessan, »aber du solltest deine Waren nie gleich dem ersten Käufer verkaufen. Du musst sie herumzeigen und Interesse und Aufmerksamkeit wecken.« Er selbst hatte ein paar schöne Felle dabei.
»Zuerst müssen wir zum Markt«, verkündete er, wenn auch nicht ohne einen sehnsüchtigen Blick zur Schmiede hinüber. Er hatte vor, stählerne Pfeilspitzen mit nach Hause zu bringen, um die groben steinernen zu ersetzen, die er selbst herstellte.
Die jungen Männer gingen weiter. Die Huren riefen ihnen hinterher – oder zumindest Jessan. Sie hielten Bashae für ein Kind, obwohl der Pecwae tatsächlich schon achtzehn Jahre alt war, genauso alt wie sein Freund. Jessan hörte sie rufen, aber er konnte nicht verstehen, was sie sagten, und begriff daher nicht, dass sie ihn meinten.
Zwei Angehörige unterschiedlicher Völker unterhielten sich über die beiden jungen Leute, während sie zusahen, wie Bashae und Jessan die einzige Straße von Wildenstadt entlanggingen. Ihr Interesse entsprang tiefster Langeweile. Einer war ein Kaufmann, ein Elf, der gerade erst nach Wildenstadt gekommen war, um auf dem Marktplatz seine Bude aufzubauen. Er war bitterlich enttäuscht von diesem Ort, den man ihm als eine wohlhabende, im Wachsen begriffene Gemeinde geschildert hatte. Er hatte vor, bald wieder einzupacken und zu gehen.
Sein Gesprächspartner war ein Zwerg mit Namen Wolfram.
Dieser Name bedeutete »Sohn des Wolfs« – ein weit verbreiteter Name unter Zwergen, die glaubten, von Wölfen abzustammen. Wolfram ließ sich nicht genau darüber aus, aus welchem Grund er sich in Wildenstadt aufhielt – nicht, dass der Elf je gefragt hätte. Einstmals, in den ruhmreichen Tagen von Alt-Vinnengael vor mehr als zweihundert Jahren, hatten sich die Elfen dazu herabgelassen, ein gewisses Interesse an den anderen Völkern dieser Welt zu zeigen. Dieses Interesse hatte sich für sie als katastrophal erwiesen. Der Sturz von Alt-Vinnengael hatte einen Bruch zwischen dem elfischen Herrscher, dem Göttlichen, und seinem Heerführer, dem Schild des Göttlichen, bewirkt. Jedes Haus der Tromek-Nation war in den darauf folgenden mörderischen Machtkampf verwickelt worden. Am Ende hatte man zwar eine Art Frieden geschlossen, aber es gab immer noch viel Bitterkeit und böses Blut zwischen den Häusern.
Daher war Wolfram ausgesprochen überrascht darüber gewesen, dass der Elf überhaupt bereit war, mit ihm zu sprechen, und erst recht über seine Freundlichkeit und Gesprächigkeit. Wolfram nahm an, dass sich der Elf in einem Geheimauftrag hier befand, denn er tat offenbar nichts lieber, als über die Politik von Dunkarga zu sprechen, besonders über Gerüchte über einen Krieg im nordwestlichen Teil des Landes.
Wolfram wunderte sich deshalb nicht weiter, als er sah, dass die spitzen Ohren des Elfen zuckten wie die eines Hundes, als ein junger Trevinici-Krieger in die Siedlung kam. Wenn irgendjemand in Dunkarga über Kriege und Schlachten Bescheid wusste, dann ein Trevinici, weil die Angehörigen dieses Stamms als Söldner in der Armee von Dunkarga kämpften. Der Elf und der Zwerg beobachteten interessiert, wie die jungen Männer näher kamen, und beide lachten leise in sich hinein, als die Neuankömmlinge die heruntergekommenen Gebäude mit großen Augen bestaunten.
Wolfram musste über die Huren lachen, die den gut aussehenden Trevinici mit seinem halb nackten, geölten und muskulösen jugendlichen Körper und den wertvollen Fellen nicht dazu überreden konnten, ihnen auch nur einen zweiten Blick zu gönnen.
Der Elf breitete seine Waren noch vorteilhafter aus.
»Ihr verschwendet Eure Zeit, Freund«, sagte Wolfram.
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