Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
vielleicht durch einen kleinen Riss in einer Wolke fällt. Wenn man dann direkt ins Sonnenlicht schaut, kann man kleine Dinge darin herumsausen sehen, stimmt's?« Bashae richtete seine leuchtenden Augen auf den Zwerg.
Wolfram nickte.
»Und das sind Seelen«, erklärte Bashae triumphierend. »Die Seelen der Toten, die im Sonnenlicht tanzen.«
Wolfram strich sich über den Bart und erklärte, so hätte er das noch nie betrachtet, was zweifellos der Wahrheit entsprach. Er hatte eigentlich immer angenommen, dass es sich bei diesen kleinen Gegenständen um Staubkörner handelte.
»Tote Pecwae vielleicht«, erklärte Jessan.
Wolfram grinste, überrascht, dass der junge Mann so viel von sich gab, aber zweifellos war die Vorstellung, dass verstorbene Trevinici-Krieger im Sonnenlicht tanzen sollten, zu viel für ihn.
Sie gingen weiter den Weg entlang, der aus nicht mehr als zwei Wagenspuren im Grasland bestand. Die Landschaft in dieser Region war flach und unfruchtbar, nur bedeckt von hohem, raschelndem Gras, das in der Sommerhitze schnell vertrocknete und braun wurde. Der Weg führte geradeaus und ohne eine einzige Biegung weiter bis zum Kleinen Blauen Fluss. In einiger Entfernung waren ein paar Pyramidenpappeln zu sehen, die vielleicht einen Teich oder Bach säumten. Die Halsbrecherberge waren im Nordosten zu erkennen, aber sie waren so weit entfernt, dass sie eher wie ein Schmutzfleck am Horizont wirkten. Die Sonne schob sich langsam nach Westen weiter, aber es war Sommer und würde noch mehrere Stunden hell bleiben.
Bashae zeigte Wolfram, was er gekauft hatte. Apfelbaumrinde aus dem Norden gegen Frauenbeschwerden, Wasserfeder aus dem Süden, um die schmerzenden Gelenke der Älteren zu behandeln, und grünen Tee aus dem Elfenland. Und Wolfram beschrieb ein paar Kräutermittel, die die Zwerge benutzten. Bashae hörte interessiert zu und achtete darauf, sich alles zu merken. Nachdem dieses Thema erledigt war, erzählte Wolfram von seinem Volk, das sein Leben damit verbrachte, auf dem Rücken zottiger Ponys über die Hügel weit im Osten von Loerem zu reiten.
Wolfram kannte viele Geschichten. Er wusste, wie man Leute unterhielt. Er wusste, wie man auch ein mürrisches Publikum für sich gewinnt. Sein Lebensunterhalt hing von diesen Eigenschaften ab, von einer Liebenswürdigkeit, für die Zwerge nicht gerade bekannt sind, die Wolfram aber im Lauf der Jahre kultiviert hatte. Jessan sagte kein Wort mehr, aber er lauschte aufmerksam, und hin und wieder, wenn Wolfram von einer besonders aufregenden Begegnung mit Elfenkriegern oder Ork-Banditen erzählte, nickte der Trevinici entweder oder verzog ablehnend das Gesicht.
Als es Abend wurde, schlugen sie ein Lager auf. Jessan holte ein Päckchen trockenes Wildfleisch heraus und teilte es sogar mit Wolfram, was eine große Gunstbezeugung darstellte. Bashae aß getrocknete Beeren und kaute auf der Wurzel einer Pflanze herum, die er ebenfalls dem Zwerg anbot. Wolfram lehnte höflich ab. Zwerge sind Fleischesser.
Im Frühsommer wird es abends noch rasch kühl. Nach der Mahlzeit legten sich die beiden jungen Männer auf den immer noch warmen Boden und schliefen bald ein – der süße, unkomplizierte Schlummer der Jugend. Wolfram konnte sich nicht daran erinnern, wann er jemals so geschlafen hatte. Er legte sich hin, aber er blieb wach, lauschte Jessans tiefen Atemzügen und beobachtete, wie Bashaes Hände und Füße im Schlaf zuckten wie die eines Hundes auf einer Traumjagd. Seufzend setzte er sich wieder hin. Er schaute noch einmal seinen Armreif an. Das Brennen hatte aufgehört. Die Edelsteine leuchteten schwach im Dunkeln – ein Zeichen, dass er den richtigen Anweisungen folgte.
Wolfram hatte keine Ahnung, wieso diese beiden jungen Leute so wichtig sein sollten, aber er freute sich schon sehr darauf, es herauszufinden. Als er den Armreif rieb, musste er vergnügt an die Silbertams denken, die seine Mission ihm bringen würde. Er legte sich wieder hin und war schließlich kurz davor einzuschlafen, als Jessan erwachte und verkündete, dass es an der Zeit wäre, weiterzuziehen.
Wolfram hatte diesen Brauch der Trevinici-Krieger vergessen – sie schliefen bei Einbruch der Dunkelheit ein paar Stunden, um dann wenn möglich den Weg während der Nacht fortzusetzen.
Die Morgendämmerung war immer noch vier Stunden entfernt, aber man konnte im Licht von Mond und Sternen einigermaßen gut sehen, denn es gab keine Bäume, die Schatten warfen. Die drei zogen weiter den Weg entlang.
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