Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
nicht an seine Mitreisenden wenden, denn er befürchtete, dass eine solche Frage als Versuch gewertet würde, die Trevinici auszuspionieren.
Sie zogen nicht auf geradem Weg weiter, und der Zwerg nahm an, dass Jessan absichtlich Umwege einlegte, damit Wolfram später einmal nicht im Stande sein würde, den Weg zu dem Dorf wiederzufinden. Wolfram, der inzwischen sehr müde wurde, hätte Jessan versichern können, dass er so etwas nicht plante, aber das hätte vermutlich die umgekehrte Wirkung gehabt. Also schwieg er und konzentrierte sich darauf, wach zu bleiben.
Es wurde dunkler. Rechts von ihnen erhob sich ein großer, dunkler Fleck und schob sich vor die Sterne. Wolfram schnupperte, roch Wasser, identifizierte den Fleck als eine Reihe von Bäumen, die um einen See herum standen. Bashae sagte etwas darüber, dass sein Wasserschlauch leer war, und die beiden jungen Männer gingen auf den See zu. Wolfram freute sich auf eine Rast, selbst wenn sie nur von kurzer Dauer sein sollte. Er hoffte, wieder wacher zu werden, wenn er sich Hals und Gesicht mit kaltem Wasser wusch.
Sie betraten den Hain. Dicht belaubte Bäume warfen schwere Schatten. Sie kamen nur noch langsam voran. Sie hörten die Geräusche von Nachttieren auf Jagd. Eine Eule schrie und machte deutlich, dass das hier ihr Territorium war. Eine weitere Eule rief in der Ferne, vielleicht um zu widersprechen. Ein Rascheln im Gebüsch kündete von einem Fuchs, der gekommen war, um einen Blick auf sie zu werfen – zumindest, wenn man Bashae glauben wollte. Wolfram wäre beinahe auf ein Wiesel getreten, das verärgert fauchte und unter seinem Fuß hervorschoss.
Sie ließen die Bäume hinter sich und kamen an das Ufer eines stillen, friedlichen Sees. Eine Herde von Rehen trank dort. Erschrocken zuckten sie mit den weißen Schwänzen und sprangen davon, obwohl Bashae ihnen nachrief, dass sie keine Angst zu haben brauchten. Niemand würde sie in dieser Nacht jagen. Wolfram sah interessiert zu. Er hatte immer gehört, dass Pecwae mit Tieren sprechen konnten, es aber bis jetzt nie selbst erlebt.
Die Rehe ließen sich trotzdem nicht beeindrucken. Wolfram hörte, wie sie durch das Gehölz brachen.
Bashae lächelte. »Sie haben mir nicht geglaubt. Ihr tragt beide Rehleder. Ich kann es ihnen nicht verdenken.«
Wolfram konnte das ebenso wenig. Er ging zum Wasser, schöpfte es mit den Händen und trank. Das Wasser war kühl und schmeckte nach Erde. Er spritzte sich ein wenig davon ins Gesicht.
»Was ist das für ein seltsames Licht?«, fragte Jessan plötzlich.
Wolfram wischte sich das Wasser aus den Augen und spähte in die Richtung, in die der junge Mann zeigte. Er hatte den silbernen Schimmer auf dem tintenschwarzen Wasser mit den Sternenreflektionen gesehen, aber wenig darüber nachgedacht.
»Der Mond«, sagte er gähnend. »Das Spiegelbild des Monds.«
»Der Mond ist vor einer Stunde untergegangen«, sagte Jessan.
Wolfram wachte auf. Er kam auf die Beine und warf unwillkürlich einen Blick zum Himmel. »Du hast Recht.«
Dann starrte er wieder auf die schimmernde Wasseroberfläche. Der silberne Fleck befand sich etwa zwölf Fuß vom Ufer entfernt, und als Wolfram genauer hinsah, konnte er erkennen, dass es sich tatsächlich nicht um eine Reflektion von Mondlicht handelte. Das silberne Licht trieb auf der Wasseroberfläche wie ein Ölfleck, stieg und fiel mit der Bewegung des Wassers.
Die Wellen, die die fliehenden Rehe hervorgerufen hatten, hatten den Silberfleck nicht aufgelöst und ihn auch nicht in winzige Wellen von Silber und Schwarz gebrochen. Das schimmernde Licht blieb, wie es war, glitt einfach über die Wellen hinweg, wie es vielleicht ein Seidentuch getan hätte, das man aufs Wasser sinken ließ. Wolfram legte die Hand auf seinen Armreif.
»Ich will verdammt sein!«, sagte er verblüfft.
»Sehen wir nach, was es ist«, rief Bashae aufgeregt. Er warf den Wasserschlauch hin und hatte schon drei Schritte in den See gemacht, gefolgt von Jessan, bevor der Zwerg begriff, was die jungen Männer taten.
Wolfram stürzte sich ins Wasser. Er packte den dünnen Arm des Pecwae mit einer Hand, Jessans Handgelenk mit der anderen.
Zornig riss Jessan sich aus dem Griff des Zwergs los und starrte Wolfram wütend an. Trevinici mögen es nicht, wenn Fremde sie anfassen, aber das war nicht der Zeitpunkt, sich mit Formalitäten abzugeben. Der junge Mann war stehen geblieben, und das war alles, was Wolfram wollte.
»Geht nicht näher heran«, warnte der
Zwerg.
»Ich
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