Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
an das Silber?«, wollte Wolfram wissen.
»Meine Großmutter singt es aus der Erde«, erklärte der Pecwae.
»Wie?« Der Zwerg befürchtete schon, falsch übersetzt zu haben. »Singen? Du meinst La-la-la?«
»Das nennst du singen?« Der Pecwae grinste. »Es klingt mehr wie das Knarren einer Ankerwinde. Meine Großmutter hat die schönste Stimme der Welt. Sie kann Vogelrufe so gut imitieren, dass die Vögel selbst sie für eine der ihren halten. Sie kann Wind herbei- oder Regen wegsingen. Sie singt der Erde vor, und der Himmelsstein springt ihr in die Hand.«
Wolfram zog die Brauen hoch. »So, wie die Worte nun plötzlich aus deinem Mund springen?«
Der Pecwae wurde rot. Er grinste beschämt.
»Rabenschwinge – das ist sein Onkel«, – er wies mit dem Daumen auf seinen Freund – »hat uns geraten, nicht zu zeigen, dass wir die Sprache der Leute hier verstehen. So können wir besser herausfinden, ob sie uns betrügen wollen.«
Wolfram grunzte. »Onkel Rabenschwinge scheint ein kluger Mann zu sein. Ich werde so tun, als wüsste ich von nichts.«
»Wirklich?« Bashae wirkte erleichtert. »Danke. Jessan wäre wirklich böse geworden.«
Wolfram glaubte selbstverständlich kein Wort von der Geschichte mit der Großmutter, die die Edelsteine aus dem Boden sang. Er wusste allerdings, dass Pecwae ausgesprochen faul waren und alles tun würden, um Arbeit zu vermeiden. Er fragte sich, wie es der Großmutter wirklich gelang, an die Steine zu kommen.
»Das mein Freund Jessan«, sagte der Pecwae und kehrte damit wieder zur gebrochenen Sprache zurück, obwohl seine Augen blitzten, wenn er dem Blick des Zwergs begegnete. »Mein Name Bashae.«
»Wolfram«, stellte sich der Zwerg vor. Er hätte mit den beiden ohne weiteres Trevini sprechen können, denn er beherrschte die Sprache der Trevinici, vielleicht als einer der wenigen in Loerem, die nicht diesem Volk angehörten, und sicherlich als der einzige Zwerg. Aber Wolfram wollte das lieber nicht verraten. Die Trevinici mögen es nicht, wenn Fremde ihre Sprache beherrschen, die sie für heilig halten. Sie machen zwar eine Ausnahme für die Pecwae, reagieren aber sehr feindselig, wenn sie andere die heiligen Worte sprechen hören.
Jessan betrachtete Wolfram kühl und abschätzend. Er war nicht freundlich, aber auch nicht böswillig oder misstrauisch. »Wachsam« wäre ein gutes Wort, um diesen jungen Mann zu beschreiben, dachte Wolfram. Er wirkte selbstsicher für einen so jungen Mann, selbst in einer Situation, die für ihn vollkommen unvertraut sein musste. Er hatte ein wohlgeformtes Gesicht mit einer ausgeprägten Nase und kantigem Kinn. Sein Haar war dunkelrot, dicht und glatt. Er trug es zu einem Zopf geflochten, der ihm über den Rücken hing. Die Haut war bronzefarben, da er den größten Teil seiner Zeit im Freien verbrachte. Er war zwar noch kein Krieger, aber dazu ausgebildet. Alle jungen Trevinici, Männer und Frauen, erhalten diese Kriegerausbildung. Er trug eine Hose aus Leder. Brust und Arme waren nackt bis auf einen wunderschönen Halsschmuck aus Türkis und Silber sowie ein breites Silberarmband. Er hatte seine Felle eingetauscht und trug nun am Gürtel den Beutel mit den Pfeilspitzen, die er dafür erhalten hatte.
»Wir jetzt gehen Tempel«, sagte Jessan.
»Ich kenne den Mann im Tempel«, erklärte Wolfram. »Wenn ihr wollt, gehe ich mit und erkläre ihm, was ihr braucht.«
»Schon gut«, sagte Jessan, legte mit einem weiteren knappen Nicken eine sowohl schützende als auch befehlende Hand auf die Schulter seines Freundes und wandte sich ab.
Der Pecwae war nicht unterwürfig, aber er begleitete seinen Freund willig und war offensichtlich daran gewöhnt, dorthin zu gehen, wo der Trevinici ihn hinführte. Zuvor allerdings bedachte er Wolfram noch einmal mit einem dankbaren Lächeln und einem Winken.
Wolfram kratzte sich am Kinn. Alles in allem eine angenehme Zerstreuung. Er wollte sich schon abwenden und sein letztes Kupferstück für einen Krug lauwarmes Bier ausgeben, als er ein Brennen an seinem Arm spürte. Er hatte dieses Gefühl schon so lange nicht mehr gespürt, dass er es zuerst für einen Insektenstich hielt und sich einfach kratzte. Aber im nächsten Augenblick war ihm klar, was es bedeutete, denn das Brennen wurde heftiger, so als hätte er die Hand durch eine Kerzenflamme geführt.
Wolfram sah sich rasch um. Niemand achtete auf ihn. Er dachte einen Augenblick darüber nach, dass hier in Wildenstadt selbst dann niemand auf ihn geachtet
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