Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
den Füßen, stapfte durchs Wasser und wirbelte Fontänen auf, die sich weiß vor dem schwarzen Hintergrund des Sees abhoben. Jessan taumelte verblüfft rückwärts und wäre beinahe gestürzt. Das Pferd raste direkt auf ihn zu, erwies sich aber als gut genug ausgebildet, um den Menschen, der ihm im Weg stand, zu spüren und über ihn hinwegzuspringen.
»Ein Gott!«, flüsterte Bashae ehrfürchtig. Er hatte sich so fest an Wolframs Arm geklammert, dass der Zwerg zusammenzuckte. Zunächst hätte Wolfram beinahe geglaubt, dass der Pecwae Recht haben könnte, aber etwas an der Rüstung des Ritters kam ihm bekannt vor. Nachdem er sich von seinem ersten Schreck erholt hatte, schaute er, als Reiter und Pferd ans Ufer stolperten, genauer hin.
»Nein«, sagte er dann leise. »Aber dicht dran. Es ist ein Paladin.«
Der Ritter zügelte sein Pferd. Er drehte sich im Sattel und warf einen Blick zurück zum Portal. Jessan starrte immer noch verdutzt den Ritter an, dessen nasse Rüstung im Sternenlicht wie Fischschuppen glitzerte.
Der Ritter hob sein Visier. »Wo bin ich?«, rief er, und in seiner Stimme lag eine gewisse Panik.
Er sah sich um, sah die Bäume und den See, den weiten Himmel und das leere Grasland und wandte sich Jessan zu. »Wo bin ich?«, fragte er noch drängender.
Jessan konnte nicht antworten. Er konnte den Mann nur anstarren.
»Verdammt – «, begann der Ritter.
»Ich kann Euch sagen, wo Ihr seid, Herr Ritter«, sagte Wolfram und trat aus dem Baumschatten vor. »Ihr befindet Euch auf Trevinici-Land, nördlich von Dunkarga.«
»Dunkarga«, wiederholte der Ritter.
Wolfram konnte im schwachen Licht von Sternen und Portal das Gesicht des Mannes nicht gut erkennen, aber er sah an dem Niedersinken der gepanzerten Schulter, dass dies nicht die Antwort war, auf die der Ritter gehofft hatte.
Wolfram hob den Arm, um nach Süden zu zeigen. »Die Hauptstadt Dunkar liegt siebenhundert Meilen in dieser Richtung.«
»Dunkarga«, sagte der Ritter abermals. Er klang so müde, als würde er gleich vom Pferd fallen. »Nicht Vinnengael, wie ich gehofft hatte.« Er schüttelte den Kopf, dann drehte er sich wieder zum Portal um. Sie konnten alle leisen Hufschlag hören, der näher kam. »Nun gut. Mein tapferer Fotheral kann nicht mehr. Er wird mich nicht weiter tragen können. Ich kann auch nicht mehr. Also muss ich hier kämpfen.«
Er rutschte vom Pferd, zog sein Schwert und rief dem Tier dann einen Befehl zu, woraufhin es zu den Bäumen galoppierte. Ernst sagte er zu Wolfram »Nehmt diese jungen Leute und flieht, Zwerg. Die Hexe, die mich durch das Portal verfolgt, wird Euch sonst auch umbringen.«
»Was… was ist denn los?«, fragte Wolfram, der das unangenehme Gefühl hatte, sich mitten in einem Traum zu befinden.
»Ein Vrykyl, ein Geschöpf der Leere, verfolgt mich« antwortete der Ritter. »Die Kreatur ist schrecklich und machtvoll.« Grimmig schaute er zu dem Portal hinüber. »Ich habe vor zwei Wochen gegen sie gekämpft. Ich glaubte, sie tödlich verwundet zu haben, aber sie hat sich offenbar selbst heilen können. Seitdem verfolgt sie mich. Als ich das Portal fand, hoffte ich… ich habe gebetet, es würde mich nach Neu-Vinnengael führen.«
Er lächelte und zuckte die Achseln. »Die Götter haben so viele meiner Gebete erhört; ich habe kein Recht, mich zu beschweren, dass sie sich mit diesem nicht abgegeben haben.«
Wolfram achtete nicht mehr darauf, was der Mann sagte. Er war bereits auf dem Weg zu den Bäumen. Eine Kreatur der Leere, die so mächtig war, dass sie es nicht nur wagte, gegen einen Paladin zu kämpfen, sondern ihn auch noch in die Flucht getrieben hatte, musste tatsächlich über ungeheure Macht verfügen. Wolfram spürte Gefahr wie den grollenden Donner eines schwülen Sommertags, und er wollte nichts damit zu tun haben. Bashae floh mit ihm.
»Beeil dich, Junge!«, rief Wolfram über die Schulter Jessan zu. »Der Ritter hat Recht, wir müssen hier weg!«
Jessan hob stolz den Kopf, und der Zwerg wusste, was der junge Mann sagen würde, bevor er es noch ausgesprochen hatte.
»Du irrst dich, wenn du glaubst, dass ich angesichts von Gefahr fliehen würde. Keiner von meinem Volk ist je vor einem Feind davongelaufen«, erklärte Jessan. Er zog sein Messer – die einzige Waffe, die er dabei hatte – und baute sich neben dem Ritter auf.
Der Ritter lächelte nicht, aber er tadelte den jungen Mann auch nicht oder erklärte ihm, wie dumm er war, wie Wolfram es wahrscheinlich getan hätte.
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