Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
Dunkarga befand sich immer mit irgendjemandem im Krieg und verließ sich dabei sehr auf die Trevinici-Söldner. Und sollte Dunkarga zufällig einmal keinen Krieg führen, konnte man damit rechnen, dass ihre Verwandten und Erzfeinde aus Karnu jeden bis dahin arbeitslosen Söldner anheuerten.
Die Dorfbewohner versammelten sich vor dem heiligen Kreis an ihrem traditionellen Versammlungsplatz. Die Ältesten standen am Nordende des Kreises, wo jeweils der erste Stein aufgestellt wurde. Hinter ihnen warteten die anderen Trevinici, die sich ihre Kinder auf die Schultern gesetzt hatten, damit sie besser sehen konnten. Krieger, die schon Blut gesehen hatten, standen in einer eigenen Gruppe. Es war ein ganzes Kontingent von ihnen anwesend, denn Jessans Eintreffen war das zweite wichtige Ereignis an diesem Tag. Das erste war die Rückkehr des Kriegers Rabenschwinge aus der Hauptstadt von Dunkarga gewesen. Beim Anblick seines Onkels, der da mit seinen Freunden stand und seinen Neffen anerkennend betrachtete, schwoll Jessans Herz vor Stolz. Bashae war ebenfalls dort, am Ehrenplatz vor den Ältesten, zeigte auf Dinge, erklärte und erzählte seine Geschichte. Neben ihm stand die Großmutter. Für eine Pecwae war ihre Position neben den Ältesten der Trevinici ungewöhnlich, denn es geschieht selten, dass Pecwae so geehrt werden, dass sie sich den Ältesten der Trevinici anschließen dürfen. Aber die Großmutter war auch eine ungewöhnliche Pecwae.
Sie war größer als der Durchschnitt. Als sie noch jung war, hatte sie beinahe fünf Fuß gemessen. Das Alter hatte sie schrumpfen lassen, aber selbst jetzt gehörte sie noch zu den Größeren ihres Volkes. Ihr Gesicht war so runzlig, dass es an eine Walnuss erinnerte. Es war schwierig, ihren Mund in all den vielen Falten zu finden. Ihre hellen, klaren Augen und das dichte, weiße Haar wirkten am auffälligsten. Niemand erinnerte sich mehr an ihren Namen, auch sie selbst nicht, so lange war sie schon als Großmutter Pecwae bekannt. Sie wusste nicht, wie alt sie war, nur, dass sie älter war als jeder andere im Ort. Sie erinnerte sich daran, wie der erste Stein aufgestellt worden war, und selbst damals war sie schon eine Großmutter gewesen.
Sie hatte alle ihre zwölf Kinder begraben. Sie hatte zwanzig ihrer Enkel und zwei ihrer Urenkel begraben. Bashae war ein Ururenkel und ihr von allen am liebsten, denn er war der Einzige, der den ernsteren Dingen zugewandt war wie sie selbst, und der sich für die Heilkunst interessierte.
Die meisten Pecwae trugen recht wenig Kleidung, nur gerade genug, um die Trevinici nicht zu schockieren. Großmutter Pecwae war auch in dieser Hinsicht anders. Sie hatte ein Hemd aus feiner Wolle übergezogen und darüber einen langen, weiten Wollrock. Hemd und Rock schmückten Tausende und Abertausende bunter Perlen, die aus allen möglichen Substanzen bestanden – Fischbein, Knochen, Muscheln, Steine, Holz und Edelmetall. Lange Perlenschnüre schmückten ihren Rock, und jede Schnur endete mit einem in Silber gefassten Stein. Türkise waren am zahlreichsten, aber es gab auch andere Steine wie Rosenquarz, roten Jaspis, Leopardenjaspis, Amethyst, Lapislazuli, Opal, Blutstein, Tigerauge, Azurit, Malachit und unzählige andere mehr. Ihr Rock war so schwer von den Steinen und Perlen, dass die meisten glaubten, sie müsse sich auf Magie verlassen, um ihn überhaupt tragen zu können. Die Perlen glänzten im Sonnenlicht, und die Steine klickten rhythmisch gegeneinander, wenn sie sich bewegte.
Jessan betrat das Dorf im Triumph, die Zügel des Pferdes in der Hand, das schwere Bündel mit Rüstung auf dem Rücken. Er nickte den Ältesten zu, dann verbeugte er sich vor Großmutter Pecwae und grinste Bashae an, der sich wieder neben Jessan stellte, wie es sein Recht war, denn er hatte ebenfalls Anteil an der Geschichte. Jessan stellte das Bündel am Boden ab. Die Rüstung rasselte und schepperte metallisch, was ihm neugierige Blicke seitens der Krieger einbrachte. Jessan begrüßte dann die Ältesten und seinen Onkel auf die angemessene Weise und wurde seinerseits gegrüßt.
Rabe wandte seinen Blick dem verwundeten Mann im Sattel zu und verzog das Gesicht ein wenig. Jessan glaubte zu wissen, was sein Onkel dachte.
»Im Augenblick sieht er nicht nach viel aus«, gab Jessan zu und wünschte sich, der Ritter würde immer noch die wunderbare magische Rüstung tragen. »Er ist verwundet, und er ist sehr alt. Aber er hat mit Mut und sehr kundig gekämpft. Er kämpfte zu
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