Der Stein der Könige 3 - Die Pforten der Dunkelheit
meine Armee noch nie aus der Nachhut befehligt, und ich werde auch jetzt nicht damit anfangen.«
Dagnarus zog seinen Umhang ein wenig beiseite und zeigte einen wunderschönen Harnisch, der aus Stahl mit Einlegearbeiten aus Gold bestand, welche ein kompliziertes Knotenmuster zeigten. Die Schmiedearbeit war hervorragend; niemand brachte dieser Tage so etwas zustande. Tasgall hatte solche Rüstungen schon gesehen, aber nur in der Rüstkammer des Palastes oder in einigen Adelshäusern, wo sie auf Ständern hingen und sich Staub und Spinnweben auf ihnen sammelten.
»Das hier war die Rüstung meines Vaters«, erklärte Dagnarus mit liebevollem Stolz. »Ich habe sie nie zuvor getragen. Ich habe geschworen, ich würde sie nicht tragen, bis ich wieder mit meinem Volk zusammenstehen und mein Schwert schwingen könnte, um es zu verteidigen. Das habe ich bei seinem Grab geschworen, als ich es in den Ruinen fand.«
»Ihr seid nach Alt-Vinnengael zurückgekehrt?«, fragte Tasgall verblüfft.
»Ja«, antwortete Dagnarus, und ein gehetzter Ausdruck trat in seine Augen. »Es gehörte zu meiner Buße. Es ist kein Ort, an den ich freiwillig zurückkehren würde.«
»Sind die alten Geschichten, die darüber in Umlauf sind, wahr?«
»Ich kenne die alten Geschichten nicht«, erwiderte Dagnarus grimmig. »Aber wenn sie von einem Ort erzählen, an welchem das Böse alle widerwärtigen Geschöpfe angezogen hat, die in Loerem ihr Unwesen treiben, dann entsprechen diese Geschichten der Wahrheit. Ich weiß nicht, ob es möglich ist, diese Dämonen zu vertreiben und die Stadt ins Leben zurückzurufen, aber ich würde es gern versuchen. Ich möchte Alt-Vinnengael gern zu einem angemessenen Mahnmal für alle machen, die dort ihr Leben gelassen haben, darunter auch meine Mutter. Sie war in jener Nacht im Palast. Sie hatte den Verstand verloren. Meine Schuld – ich habe sie um den Verstand gebracht. Irgendwann möchte ich das gern wieder gutmachen. Alles, was ich ihr und meinem Vater angetan habe.«
Tasgall wusste, dass Dagnarus ihn längst vergessen hatte und nicht mehr mit ihm, sondern mit den Schatten sprach, die irgendwo am Rand seines Gedächtnisses lauerten, Schatten, deren anklagende Blicke immer noch auf ihn gerichtet waren, Schatten, deren Zeigefinger stets auf ihn zeigten. Tasgall hätte das vielleicht für Theater gehalten, für eine Lüge, die ihn beruhigen sollte, aber der Schmerz, der nun Dagnarus' hübsches Gesicht verzerrte und in seiner Stimme mitschwang, war zu echt, um gespielt zu sein.
»Seid Ihr bereit?«, fragte Dagnarus schließlich.
»Ja, Euer Majestät«, antwortete Tasgall, der endlich Vertrauen geschöpft hatte. »Alles ist bereit.«
»Dann gebt das Signal, die Tore zu öffnen.«
Die großen Räder drehten sich. Das Tor von NeuVinnengael, ein Wunder der Technik, wurde nach oben in die Doppelbögen gezogen, welche die breite Straße teilten, die in die Stadt führte – für gewöhnlich diente eine Seite als Eingang, die andere als Ausgang. Die Taan stürmten durch beide Tore.
Als Erste kamen die Schamanen vom Schwarzen Schleier. So begierig die Taan auch waren, die Stadt zu stürmen, so hatten sie doch genug Ehrfurcht vor den Schamanen, dass sie es nicht wagten, sie zu überholen. Die Schamanen schritten schweigend einher, gekleidet in die schwarzen Gewänder, welche die Ritualnarben und die wertvollen Edelsteine unter ihrer Haut verbargen. Diese Edelsteine verliehen dem Todeszauber der Leere Macht und Zerstörungskraft, die jeder Schamane nun auf seiner Zunge schmecken konnte. Sie hoben die Köpfe und blickten zu Dagnarus auf, der, ebenfalls in Schwarz gehüllt, oben auf der Mauer stand. Sie verbeugten sich vor ihm und schienen der Ansicht zu sein, dass sie zu ihm gehen sollten, denn sie setzten dazu an, die Treppe zum Wehrgang hinaufzusteigen.
Dagnarus machte eine ausholende Geste und zeigte zur Stadtmitte. Die Schamanen verbeugten sich und gingen weiter. Tasgall stieß einen leisen Pfiff aus. Er konnte spüren, wie die Macht der Leere von diesen Schamanen ausging und die Stadt wie dunkles Wasser überflutete. Er konnte nur hoffen, dass seine Magier mit ihnen fertig würden.
Nach den Schamanen kamen die Nizam, die Elitekrieger der Taan, welche ihren Rang durch Heldentaten in der Schlacht erworben hatten. Sie drängten johlend durchs Tor, schlugen ihre Waffen gegeneinander und riefen den Xkes Aufforderungen zu, aus ihren Verstecken zu kommen, gegen sie zu kämpfen und zu sterben. Sie blickten zu Dagnarus
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