Der Stein der Könige 3 - Die Pforten der Dunkelheit
Frieden, welchen er bei all seinen rastlosen Wanderungen nicht gekannt hatte. Er stand auf und streckte sich. Als er sich vorbeugte, um nach seinem Rucksack zu greifen, weil er seine Sachen packen wollte, spürte er, dass etwas vor seiner Brust baumelte.
Er schaute nach unten und entdeckte ein silbernes Medaillon mit dem Kopf eines zähnefletschenden Wolfs.
Das Medaillon eines Paladins.
»Du bist wieder da«, sagte Kolost, als er auf Wolframs Klopfen hin die Tür öffnete.
Wolfram stapfte hinein. »Das scheint dich nicht zu überraschen.«
Kolost lächelte. »Ich hab letzte Nacht gesehen, wie dir der Wolf gefolgt ist. Ich wusste, der Wolf würde dir gut zureden.«
Wolfram grunzte. Er hatte nicht vor, irgendetwas zu erklären. »Ich hatte eine Idee. Ich werde selbst versuchen, im Feuer zu erkennen, was geschehen ist. Ich bin vielleicht im Stande, durch die Dunkelheit zu blicken.«
Kolost setzte zu einem Einwand an. Immerhin war Wolfram kein Feuermagus – wie konnte er dann Visionen haben? Aber dann schloss er den Mund wieder. Man stellte die Mysterien des Wolfs nicht in Frage.
»Ich dachte, du würdest sicher gern dabei sein«, fuhr Wolfram fort. »Ich würde es gern tun, solange es noch früh ist. Und wir sollten die Umgebung abriegeln. Ich weiß nicht genau, was passieren wird.«
»Das lässt sich machen. Wir sehen uns am Zelt«, versprach Kolost.
Wolfram nickte und kehrte zum Tempel zurück, wie Dunners Kinder das Zelt genannt hatten. Auf dem ganzen Weg umklammerte er das Medaillon mit der Hand. Es war ein kalter Morgen, und das Metall fühlte sich warm an. Wenn er es berührte, schien es so, als berühre er Gildas Hand. Er dachte an ihre Bemerkung über den Armreif, den er getragen hatte, und schüttelte den Kopf. Er hätte es eigentlich wissen müssen. Schon als sie noch Kinder gewesen waren, war sie diejenige gewesen, die abenteuerlustig voranpreschte und dafür sorgte, dass auch Wolfram Ärger bekam. Er, der Vorsichtigere, war immer ein paar Schritte zurückgeblieben. Er wünschte sich nun, er hätte den Armreif behalten, aber er hatte ihn in einem Wutanfall dem Feuer zurückgegeben.
Als Wolfram den Platz erreichte, bückte er sich, betrat das Zelt und blieb beunruhigt stehen. Jemand war in seiner Abwesenheit hier gewesen. Er wusste nicht, wieso er das wusste, aber er wusste es. Er sah sich ausführlich um, aber nichts fehlte, und nichts war durcheinander gebracht worden. Er ging wieder hinaus, sah sich auf dem Platz um und spähte auch dort in jede Nische, in der sich jemand hätte verstecken können. Er fand niemanden. Aber er wollte diese Empfindungen nicht einfach abtun. Reiner Instinkt hatte seine Zwergenhaut schon mehr als nur einmal gerettet. Er würde Kolost raten, genau aufzupassen.
Wolfram hatte Zündspäne und ein bisschen Holz mitgebracht, genug für ein kleines Feuer. Als er in das Zelt zurückkehrte, zog er den misshandelten Feuerkasten zu sich heran und legte das Holz hinein. Dann lehnte er sich zurück und starrte es nachdenklich an. Wolfram war kein Feuermagus. Er hatte in seinem ganzen Leben keinen einzigen Zauber bewirkt und das auch nie gewollt. Und jetzt wollte er sich gleich an einen ziemlich großen Zauber wagen, einen, welcher selbst erfahrenen Magiern schwer fallen würde.
Wolfram machte sich deswegen keine Sorgen. Er machte sich Sorgen, weil er sich keine Sorgen machte. Er spürte so etwas wie Wärme in sich, wenn er an den Zauber dachte, die Überzeugung, dass er es tun konnte, obwohl er keine Ahnung hatte, wie. Und das beunruhigte ihn.
Kolost spähte ins Zelt. Wolfram ging hinaus und gesellte sich zu ihm. Der Platz war abgeriegelt worden. Zwerge standen am Eingang Wache und schickten die Neugierigen weg.
»Jemand ist hier gewesen«, erklärte Wolfram. »Sag deinen Leuten, sie sollen gut aufpassen.«
»Es sind gute Männer. Sie wissen, was sie tun sollen«, meinte Kolost. »Wer war es denn? Hast du irgendeine Ahnung?«
Wolfram schüttelte den Kopf. »Nur so ein Gefühl, das ist alles. Komm herein. Setz dich dorthin.« Er zeigte auf eine Stelle nahe dem Feuerkasten. »Wenn der Zauber gelingt, werden wir alles genau so sehen, wie es in dieser Nacht geschehen ist, so als wären wir selbst anwesend. Aber das werden wir selbstverständlich nicht sein. Es sind nur Visionen der Vergangenheit.«
Kolost nickte, um anzudeuten, dass er verstanden hatte, und setzte sich an die Stelle, die Wolfram ihm gezeigt hatte. Er zog die Beine an, legte die Hände auf die Knie und schaute
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