Der Stein der Könige 3 - Die Pforten der Dunkelheit
seine Gedanken Shakur zu, und schließlich Dagnarus. Er fragte sich, was der Lord der Leere wohl vorhatte. Diese Söldnertruppe, von welcher der Zwerg gesprochen hatte, war ein ganz neuer Faktor. Silwyth hatte sie nicht in seine Berechnungen mit einbezogen. Würden die Söldner seine Pläne vereiteln? Er musste mehr über sie herausfinden.
Silwyth bewegte sich geräuschlos. Er ging barfuß, denn seine Fußsohlen waren so fest und weich wie feinstes Stiefelleder. Er hatte so lange in der Wildnis gelebt – und von ihr –, dass er nun Teil von ihr war. Die Tiere regten sich nicht, wenn er vorbeiging. Das Wild graste weiter. Die Kaninchen schliefen. Die Eichhörnchen hielten ihn für einen Baum. Die Schlange glitt über seinen Fuß. Der Fuchs huschte vorbei, ohne ihm einen Blick zu gönnen.
Silwyth hatte nahe dem Portal Anzeichen dafür bemerkt, dass sich eine große Gruppe von Reitern in der Nähe befand, aber er war mit dem Kapitän und Wolfram beschäftigt gewesen und hatte nicht genug Zeit gehabt, sich darum zu kümmern. Nun hatte er vor, zu dem Portal zurückzukehren, Klendists Spur aufzunehmen und ihr zu folgen. Sie waren alle zum gleichen Ort unterwegs – nach Alt-Vinnengael, wo er sich wieder mit den Paladinen treffen würde. Sie würden einen Führer durch die Ruinen brauchen, jemanden, der sich mit den Gefahren auskannte. Aber als Erstes würde er sich um diesen Klendist kümmern.
Silwyth kam zu einem kleinen Bach, der durch den Wald floss. Das Wasser war träge und nahm sich Zeit. Es gluckerte leise vor sich hin, wenn es über Steine floss und unter Weiden hindurchglitt, und das Laub des Winters schmückte die kleinen Wellen. Silwyth hatte gerade vor, den trägen Bach zu überqueren, als er spürte, wie ihn eine seltsame Teilnahmslosigkeit ergriff.
Er ließ sich schwerfällig auf einen moosigen Baumstumpf sacken. Die Schwäche hatte ihm die Kraft zum Gehen genommen. Er hatte solche Anfälle schon zuvor erlebt, aber noch nie so heftig. Er wusste sofort, was geschah. Er würde sterben.
Silwyth dachte an alles, was er noch tun musste, alles, was noch nicht zu Ende gebracht war. »Lasst mich leben«, betete er zu Vater und Mutter. »Nur noch ein klein wenig länger.«
»Lege deine Last ab«, lautete die Antwort. »Andere werden sie übernehmen. Das ist der Weg der Dinge.« Mit einem Seufzer ließ er los.
Er saß auf dem Stein und schaute ins Wasser mit seinen Sonnen- und Schattenflecken. Er sah sich selbst als ein weiteres braunes, vertrocknetes Blatt, das auf diese wellige Oberfläche gefallen war und zum endlosen Meer getragen wurde.
Nun, da seine Last von ihm genommen war, brachte die Lethargie Frieden. Er spürte keine Angst. Er wartete geduldig auf den Tod, so wie ein Liebender auf seine Geliebte wartet. Das Lied des Bachs, die Wärme der Sonne machten ihn schläfrig. Der Kopf sackte ihm auf die Brust. Er war dabei, in den Schlaf zu sinken, welcher das letzte Geschenk von Vater und Mutter ist, als ein Schatten auf ihn fiel.
Ein kalter, leerer Schatten.
Der Schatten, die Gefahr, weckten ihn und rissen ihn zurück. Silwyth öffnete die Augen.
»Lady Valura.«
Sie stand in Frauengestalt vor ihm, schön und jung, die Haut warm und wächsern wie die Blütenblätter der Gardenie, ihr Mund karneolrot, ihr Körper makellos in Gestalt und Anmut. Die Augen, diese leeren Augen, starrten auf ihn nieder.
»Falls Ihr Rache wollt, meine Dame«, sagte Silwyth, »kommt Ihr zu spät. Ich sterbe.«
»Lügner!« Sie spuckte das Wort geradezu aus. Höhnisch verzog sie die Lippen. »Du warst immer schon ein Lügner! Du könntest nicht einmal die Wahrheit sagen, wenn du es wolltest!«
»Ich habe Euch nie belogen, Lady Valura«, sagte Silwyth.
Sie bewegte sich näher zu ihm heran und beobachtete ihn misstrauisch. Er hatte sie schon zuvor betrogen, hatte sie hintergangen, sie gekränkt und erniedrigt. Sie traute ihm nicht, würde ihm niemals trauen, bis sie seinen erkaltenden Leichnam in ihren Armen hielt und seine Seele in die Leere saugte.
Silwyth regte sich nicht. In seinem Blick sah sie, was schon immer dort gestanden hatte: Mitleid. Wenn er tot war, würde sie ihm diese Augen ausreißen.
Valura griff an ihre Brust und zog das Blutmesser heraus, das aus ihrem eigenen Knochen hergestellt war.
»Du versuchst, Dagnarus' Pläne zu vereiteln«, sagte sie.
»Ich habe mein Bestes getan«, erwiderte Silwyth.
»Warum?«, wollte sie wissen.
»Ihr wisst, warum, Lady Valura.« Er blickte zu ihr auf, in diese leeren
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