Der Stein der Könige 3 - Die Pforten der Dunkelheit
Augen. Vor langer Zeit einmal hatte er diese Augen in einem wunderschönen Garten gesehen.
»Dagnarus liebt mich!«, rief sie.
»Er hasst Euch. Er verabscheut Euch. Er hat Euch verstoßen. Er hat Euch weggeschickt. Er will Euch nicht in seiner Nähe…«
Sie umklammerte das Knochenmesser, lockerte den Griff wieder, packte es erneut fester.
»Er wird mich zu sich rufen, wenn ich ihm geholfen habe. Wenn ich ihm gegeben habe, was er will. Er wird mich lieben. Das wird er! Und du wirst Zeuge sein. Denn ich werde deinen Körper und deine Seele nehmen!«
Sie stach zu und traf Silwyth in die Brust. In ihrem Zorn hatte sie allerdings nicht besonders gut gezielt – das Messer drang nicht in sein Herz.
Wütend riss sie es heraus und wollte noch einmal zustechen.
Silwyth sah sein eigenes Blut auf dem Messer. Er sah es auf dem weißen Gewand der Frau.
»Ihr könnt vielleicht meinen Körper nehmen«, sagte er. »Aber meine Seele bekommt Ihr nicht. Die habe ich schon dem Vater – und der Mutter…«
Wieder stach Valura zu. Diesmal fuhr der Dolch ins Herz.
Ihre Gestalt veränderte sich. Valura verschwand. Silwyth stand an ihrer Stelle.
Seine Leiche blieb auf dem Baumstumpf sitzen, vornüber gesackt und aus den beiden Brustwunden blutend. Valura trat die Leiche in Richtung des Baches. Wieder und wieder trat sie zu, bis ihr Zorn vergangen war.
»Verflucht sollst du sein«, sagte sie mit Silwyths Lippen. »Ich verfluche dich zur Leere!«
Aber das geschah nicht. Der uralte Elf war dem Schicksal, das er verdient hatte, entgangen. Seine Leiche lag im Bach. Das Wasser färbte sich von seinem Blut. Sein totes Gesicht starrte zu ihr auf. In seinen Augen stand Mitleid. Sie hatte sein Gesicht genommen. Die Seele war ihr entkommen.
Valuras Blutmesser hatte einen Mann getroffen, der bereits tot gewesen war.
Auf K'lets Befehl hin zogen die Taan nach Osten. Sie bewegten sich rasch, verschlangen die Meilen mit kräftigen Beinen. Das Ziel war ihnen unbekannt.
Niemand bezweifelte jedoch, dass K'let ein Ziel hatte. Taan handelten nicht sinnlos. Kein Augenblick wurde leichtsinnig verschwendet. Selbst zu den seltenen Gelegenheiten, zu welchen den Taan ein Feiertag zugestanden wurde, verfeinerten sie beim Sport weiter jene Fähigkeiten als Krieger, die ihr Überleben sicherten.
Rabe führte seinen Stamm von Halbtaan an, eine Aufgabe, die sich als ausgesprochen schwierig erwies. K'let hatte zwar verlangt, dass die Taan die Halbtaan als gleichgestellt akzeptierten, aber nicht einmal der so hoch verehrte Kyl-sarnz konnte die Taan dazu zwingen, die Halbtaan mit Respekt zu behandeln. Sie wurden gemieden und gequält.
K'let hatte befohlen, dass die Halbtaan mit der Hauptarmee nach Süden marschieren sollten, damit sie geschützt waren. Das bedeutete, dass sich die Halbtaan am Ende der Marschordnung befanden und den Staub von Hunderten von Taan vor sich schlucken mussten. Die Taan durften sich die besten Lagerplätze auswählen, die Halbtaan nahmen, was übrig war. In der letzten Zeit waren die Taan dazu übergegangen, das Lager der Halbtaan bei Nacht zu überfallen, ihr Essen zu stehlen, die Zelte aufzuschlitzen und alles zu zerstören, was sie finden konnten.
Rabe beschwerte sich bei Dag-ruk und den anderen Nizam wegen dieses Verhaltens. Sie lachten nur und johlten. Was hatte er erwartet? Diese elenden Halbtaan konnten weder auf sich selbst aufpassen noch für sich selbst sorgen. Sogar K'let wusste das. Deshalb hatte er befohlen, dass sie mit ihren Beschützern marschierten. Halbtaan eigneten sich nur zum Dienen. Rabe erkannte bald, dass er die Einstellung der Taan nicht ändern konnte. Nur die Halbtaan selbst würden das erreichen können.
Rabe arbeitete mit den Halbtaan, unterrichtete sie im Gebrauch der Waffen, brachte ihnen Kampftaktik bei, lehrte sie, selbst zu denken und sich selbst zu achten. Dieser letzte und wichtigste Punkt erwies sich als der schwierigste. Jedes Mal, wenn ein Taan in ihr Lager kam, bebten die Halbtaan und duckten sich. Wenn Rabe sie dafür tadelte, bebten sie und duckten sich vor ihm.
Rabe hatte Geduld. Er hatte in Dunkarga mit unerfahrenen Rekruten gearbeitet, und er wusste, dass es Zeit brauchen würde, ihnen Selbstachtung beizubringen. Zum Glück machte sich bald das Taanblut in ihnen bemerkbar. Sie waren geborene Krieger. Es mochte ihren halb menschlichen Körpern zwar an der brutalen Kraft und dem Durchhaltevermögen der Taan fehlen, aber sie erwiesen sich als schneller und beweglicher. Jeden Tag wurden
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