Der Stein der Könige 3 - Die Pforten der Dunkelheit
einen ziemlich nachdenklich, oder? Nach so viel Anstrengung und Leid im Leben ist alles, was am Ende von uns bleibt, ein Zinnkrug.«
»Das ist die Leere, die dort spricht«, sagte Damra leise.
»Vielleicht sagt sie ja die Wahrheit«, erwiderte Shadamehr verbittert und warf den Becher beiseite.
Auf dieser Ebene waren auch Leichen zu finden, Skelette, die liegen geblieben waren, wo die Bewohner vor zweihundert Jahren gestorben waren. Oft handelte es sich um die Überreste von Soldaten, die in den Straßen gekämpft hatten. Einige lagen auf dem Pflaster dicht nebeneinander, und die Schäfte von Pfeilen und rostige Schwerter mischten sich mit ihren Knochen. Einige waren auf Türschwellen zusammengesackt, als wären sie vom Blutverlust schwach geworden und hätten sich hingesetzt, nur um in einen Schlaf zu fallen, aus dem sie nie wieder erwacht waren. Eine Gruppe von Leichen hatte Schilde mit den Wappen elfischer Adliger. Sie lagen rings um eine einzelne Leiche, wahrscheinlich ihren Kommandanten.
Die Leichen gewöhnlicher Bürger waren hier ebenfalls zu finden. Wer auch immer zu lange gewartet hatte, um aus dem Haus zu fliehen, oder wegen des Kampfs oder der Feuersbrunst festgesessen hatte, war am Rauch erstickt oder von einem einstürzenden Gebäude erschlagen worden. An einer Stelle fanden sie die Überreste einer ganzen Familie: Mann, Frau, Kind und das kleine Skelett eines Hundes.
Dieser erschütternde Anblick lastete schwer auf den Herzen der vier und nagte an ihren Seelen.
»Ich höre ihre Stimmen«, sagte Wolfram tonlos, »und ich spüre ihre Berührung. Sie wollen uns hier nicht haben.«
»Hört auf«, verlangte Shadamehr in scharfem Ton. »Wir jagen uns selbst Angst ein. Sie sind tot. Sie sind vor langer Zeit gestorben.«
»Wo immer ihre Geister sein mögen, sie haben Ruhe gefunden«, fügte Damra leise hinzu und flüsterte ein Gebet.
»Die Elfen ruhen nicht«, sagte Silwyth. »Sie waren Verräter, die ehrlos gestorben sind. Sie liegen hier unbegraben; ihren Geistern wird der Zugang in das gesegnete Reich von Vater und Mutter verwehrt.«
Zum ersten Mal, seit Damra Silwyth kannte, hatte der Elf sich Gefühle anmerken lassen. Als er »verwehrt« sagte, war sein Tonfall von bitterem Bedauern erfüllt gewesen.
War das die Stimme von Silwyth?, fragte sich Damra. Oder die des Vrykyl, welcher von ihm Besitz ergriffen hatte? Oder sind sie beide so eng miteinander verbunden, dass der Lebende und der Tote wie ein einziges Wesen sprechen?
Sie war versucht zu fragen, aber dann trat Silwyth plötzlich heftig nach der Leiche des Elfen.
»Wir müssen uns beeilen«, sagte er dann und führte sie weiter.
Es war gegen Mittag – das nahmen sie jedenfalls an –, als sie eine der Rampen erreichten, welche von der zweiten Ebene zum höchsten Punkt der Klippe führten, wo der wunderbare Tempel der Magier und der großartige Palast vor den Sieben Wasserfällen gestanden hatten. Sie konnten das Tosen des Wassers hören, obwohl die Fälle selbst im Nebel verborgen blieben.
Die Rampe war von Erdmagiern aus dem Stein geschnitten worden. Sie führte nicht direkt nach oben, denn die Steigung wäre zu steil für Wagen und Fußgänger gewesen. Stattdessen zog sie sich in einer sanften Biegung um die steil aufragenden Felsen herum.
An einem hellen Sonnentag in Alt-Vinnengael wäre es eine angenehme Erfahrung gewesen, diese Rampe hinaufzugehen. Man hätte auf die große, geschäftige Stadt drunten hinabblicken können und auf den blauen See, und über sich hätte man den Palast mit den glitzernden Türmen und den tanzenden Regenbögen gesehen.
Die Regenbögen waren nun grau, und die glitzernden Türme lagen in Trümmern. Der Nebel ließ alles verschwinden außer der Rampe, die glatt und schleimig war und breite, klaffende Risse aufwies. Jeder in der Gruppe wusste, dass diese Rampe sie zu ihrem Schicksal führte.
Was für ein seltsamer und schrecklicher Weg, um uns zu den Göttern zu bringen, überlegte Damra.
Ich wünschte, ich hätte ein Seil mitgebracht, dachte Shadamehr. Ein paar Längen eines festen Seils wären hier eine große Hilfe.
»Dunner ist hier hinaufgegangen«, sagte Wolfram zu Gilda, deren Geist er ganz in seiner Nähe spürte. »Ich wandele in seinen Fußstapfen. Ich darf nichts tun, das ihn entehren würde.«
Die Schamanen hatten die Vorzeichen gelesen, erinnerte sich der Kapitän der Kapitäne. Die Vorzeichen waren schlecht für die Menschen gewesen, aber gut für die Orks – das hatte die Schamanin
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