Der Stein der Könige 3 - Die Pforten der Dunkelheit
in die leeren Augen zu schauen, obwohl das war, als schaue man in einen Brunnen voller Dunkelheit.
K'let machte einen Schritt vorwärts und stieß mit einem Krallenfinger gegen Rabes Brust. Bei der Berührung konnte Rabe durch die Fassade von Taanfleisch und Taanhaut in den lebendigen Tod blicken – den tierischen Schädel, verunstaltet von Rissen alter Wunden; die gelben Zähne, die leeren Augenhöhlen. Er roch den Gestank der Verwesung.
K'let stieß noch einmal gegen Rabes Brust. »Ich habe dich zum Nizam gemacht. Im Gegenzug hast du mir dein Leben versprochen.«
Rabe schwieg. Er starrte weiter in die dunklen Augen.
»Es ist an der Zeit, dein Versprechen zu erfüllen«, sagte K'let. Er runzelte die Stirn und starrte Rabe an. »Oder bist du nur ein weiterer eidbrechender Xkes?«
»Ich halte meine Versprechen«, sagte Rabe.
»Gut«, erwiderte K'let knurrend. Dann drehte er sich um und ging in den dunklen Nebel hinein.
Rabe blieb noch einen Augenblick stehen und dachte an Durzor und seine Leute.
»Ich halte meine Versprechen«, wiederholte er und folgte dem Vrykyl.
Die Paladine verloren jedes Zeitgefühl, denn hinter dem wogenden Nebel war die Sonne nicht mehr zu sehen. Zuerst fiel es ihnen leicht, ihren Weg durch die Trümmer zu finden. Die Straßen der unteren Ebene waren frei geräumt und die Trümmer beiseite geschoben worden. Der Schutt lag in rutschenden Haufen am Straßenrand, oder man hatte ihn in die Gassen gefegt. Sie wunderten sich, bis Shadamehr es erklärte.
»Das haben die Bahk getan«, sagte er. »Sie haben sich einen bequemen Weg ins Stadtinnere geschaffen.«
»Aber sie gehen nicht nach oben«, sagte Wolfram und legte den Kopf schief, um durch die grauen Nebelranken zu spähen, welche sich über die höheren Ebenen der toten Stadt zogen.
»Nicht, wenn man Silwyth glauben darf«, meinte Shadamehr.
Wolfram legte die Hand auf eine riesige Eisenstrebe, die zu einem der gewaltigen Kräne gehört hatte, die die Orks gebaut hatten. Die Strebe war vierzig Fuß lang und so schwer wie ein Haus, und sie war aufgehoben und beiseite geworfen worden, als wöge sie nicht mehr als ein Zweig.
»Ein Tier, das einen solchen Kran bewegen kann«, sagte Wolfram, »soll Angst davor haben, dort hinaufzugehen?« Er schüttelte finster den Kopf, seufzte und ging weiter.
Sie folgten den von den Bahk frei geräumten Straßen über die erste Ebene zur zweiten, wo es erheblich schwieriger wurde, sich weiterzubewegen. Silwyth entschloss sich, die Innenstadt, die von den Bahk heimgesucht wurde, weiträumig zu umgehen, und daher fanden sie keine vom Schutt geräumten Straßen mehr vor.
Sie stiegen über Trümmer oder umgingen sie, und manchmal mussten sie sich darunter durchgraben. Bald schon waren sie müde, nass und schmutzig. Ohne Silwyths Führung hätten sie vollkommen die Orientierung verloren, denn der Nebel wurde dichter, je mehr sie sich den Wasserfällen näherten, und nach kurzer Zeit konnten sie die Klippen über sich nicht mehr sehen. Die Häuser auf der zweiten Ebene waren besser gebaut gewesen als die im Hafen. Viele hatten das Feuer und die Explosion überlebt. Sie standen inmitten der Trümmer und wirkten mit ihren ausgeschlagenen Fensteraugen und vernarbten Gesichtern wie Wachtposten, die einsam Wache über die Toten hielten. Hier und da war eines endgültig eingestürzt, und die Trümmer verstopften die Straße. Aber obwohl in diesem Teil der Stadt weniger zerstört war, schienen hier Traurigkeit und Kummer noch schwerer zu lasten. Die Häuser waren einmal lebendig gewesen, und die Abwesenheit von Leben wurde von einzelnen schlichten Gegenständen nur noch betont: Stühle und Tische, Krüge und Becher. Ein Spinnrad in einer Ecke neben einem Kamin. Ein Kessel über der Feuerstein. Eine Stoffpuppe. Ein Holzschwert. Verstaubt. Von Spinnennetzen überzogen. Gut erhalten. Zerbrochen. Manchmal lagen solche Gegenstände auch auf den Straßen, als hätten ihre Besitzer sie auf ihrer panischen Flucht mitgenommen und dann weggeworfen oder verloren. Vielleicht waren sie zu schwer gewesen. Hatten sie behindert. Oder vielleicht hatten die Menschen begriffen, dass diese Kleinigkeiten, an welche sie sich so verzweifelt klammerten, nutzlos und bedeutungslos waren.
»Wie ungerecht es scheint«, sagte Shadamehr und hob einen Becher auf, der auf die Straße hinausgerollt war, »dass etwas so Unbedeutendes wie dieser Becher überleben sollte und die Hände, welche ihn hergestellt haben, längst verwest sind. Das macht
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