Der Stein der Könige 3 - Die Pforten der Dunkelheit
angespannt darauf, was sie zu sagen hatte, aber die meisten wussten jetzt schon, dass es ihnen nicht gefallen würde.
Clovis setzte abermals dazu an, etwas zu sagen, aber ihre Ansprachen waren an diesem Tag offenbar dazu verurteilt, ungehört zu bleiben. Einer der Tempelnovizen, welcher der Regentin diente, kam atemlos in die Halle gestürzt. Er rannte direkt auf Clovis zu, aber dann wurde ihm durch das plötzliche Gemurmel sämtlicher Anwesender – der König eingeschlossen – klar, dass ihn alle anstarrten. Verlegen erstarrte er mitten in der Bewegung. Dann riss ihn der scharfe Tonfall der Regentin wieder aus der Starre. Rasch eilte der junge Mann zu ihr und flüsterte aufgeregt auf sie ein.
Die Regentin riss die Augen auf. Ein verblüffter Ausdruck breitete sich auf ihrem fleischigen Gesicht mit dem breiten Kinn aus. Clovis hätte wahrscheinlich viel dafür gegeben, wenn sie diese Botschaft in einer abgeschiedeneren Situation entgegengenommen hätte, aber nun konnte sie den Saal wohl kaum mehr verlassen. Die Menge hatte angefangen, Bemerkungen über das Hereinstürzen des Novizen zu machen, und ein paar Barone verlangten zu erfahren, was los war.
»Euer Majestät«, sagte Clovis und wandte sich dem König zu, »der feindliche Kommandant bittet darum, unter einer Waffenstillstandsfahne nach Neu-Vinnengael kommen zu dürfen. Er will uns nicht angreifen, sagt er, sondern schlägt vor, gemeinsam nach einer friedlichen Lösung zu suchen. Wir müssen entscheiden, ob wir ihn in die Stadt lassen oder nicht.«
In der verblüfften Stille, die auf diese Ankündigung folgte, war die schrille Stimme des kleinen Königs gut zu hören.
»Wir sagen ja«, erklärte Hirav III. »Erlaubt ihm, in Unsere Stadt zu kommen und mit Uns zu sprechen.«
Clovis schnappte nach Luft. Sie hatte sich nur deshalb mit ihren Worten an den jungen König gewandt, weil sie die lärmenden Barone zum Schweigen bringen wollte. Der König hätte eigentlich erklären sollen, dass er die Entscheidung ihr überließe. Ganz bestimmt entsprach es nicht ihren Plänen, dass er seine eigene Entscheidung traf, und sie war erstaunt und alles andere als erfreut, dass er das getan hatte. »Euer Majestät, wir sollten diese Angelegenheit unter uns besprechen …«
Der König rutschte von seinem Thron und sah ihr ins Gesicht. »Wir sagen, diesem Kommandanten soll erlaubt werden, die Stadt zu betreten. Wir möchten ihn sehen und mit ihm sprechen. Das ist Unser Wille, und Ihr werdet gehorchen.«
Schlau, dieser Vrykyl, dachte Rigiswald. Er schaute zu Tasgall hinüber, um zu sehen, was er von der Äußerung seines Schutzbefohlenen hielt, aber er konnte die Aufmerksamkeit des Kriegsmagus nicht erregen, denn Tasgall konzentrierte sich ganz auf die Regentin.
Clovis steckte in der Patsche, wie die Leute sagten. Sie faltete die Hände über ihrem umfangreichen Bauch und versuchte, den König mit einem erbosten Blick einzuschüchtern. Aber damit hatte sie keinen Erfolg, also musste sie etwas sagen.
»Euer Majestät, als Eure von der Kirche bestellte Regentin, anerkannt in den Augen der Götter, ist es meine Pflicht, Euch bei Euren Entscheidungen anzuleiten. Alle wissen von Eurer Sorge um Euer Volk, und wir sind der Überzeugung, dass Ihr nur das Beste für die Leute hier wollt. Und genau aus diesem Grund wage ich zu bezweifeln, dass Ihr wirklich unbedingt mit diesem bösen Mann sprechen wollt. Dennoch, ich werde über Eure Wünsche nachdenken. Eine so wichtige Angelegenheit sollte jedoch nicht leichtfertig entschieden werden. Ich schlage vor, wir nehmen uns einige Zeit, um nachzudenken.«
Clovis wandte sich dem Kämmerer zu. »Seine Majestät möchte sich zurückziehen.«
Seine Majestät schien alles andere als erfreut zu sein. Er runzelte die Stirn und ballte eine kleine Faust. Er schien widersprechen zu wollen, überlegte es sich dann aber offenbar anders. Wenn er es jetzt noch einmal versuchte, würde er nur wie ein nörgelndes Kind wirken und daher eher an Boden verlieren. Im Augenblick betrachteten ihn Männer und Frauen, die ihn zuvor bemitleidet hatten, mit Respekt. Er konnte nur gewinnen, indem er sich gut benahm. Der Kämmerer und die Wachen eskortierten den König aus dem Saal.
Die Regentin sprach kurz mit dem Novizen, der den Saal rasch verließ, dann sagte sie laut: »Diese Versammlung wird vertagt. Wir treffen uns in einer Stunde wieder. Dann werden wir diesem Mann unsere Antwort geben.«
Hatte sie wirklich geglaubt, sie würde so einfach davonkommen?
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