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Der Stein der Wikinger

Der Stein der Wikinger

Titel: Der Stein der Wikinger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Jeier
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wiederfinden sollte, war ihm noch immer nicht klar. Sollte er es Odin gleichtun, sich mit seinem eigenen Schwert verletzen und in das Geäst eines Baumes hängen, bis ihm die Erkenntnis kam? Odin hatte auf diese Weise die Runen entdeckt, jene magische Zeichen, die den Schriftbildern der christlichen Mönche ähnelten.
    Im Langhaus der Sippe war man der festen Überzeugung, dass die Hochzeit noch im Sommer stattfinden würde. Deshalb bedrängte ihn niemand außer Gunnhild, und ihm blieb noch eine Galgenfrist, die aber mit jedem Hammerschlag an dem beinahe fertigen Frachtschiff zusammenschmolz. Sobald die Knorr im Wasser lag, musste er Farbe bekennen. Die Augen aller Bewohner würden ihm folgen, wenn er das Langhaus betrat, um mit Kolfinn über seinen Besitzstand und die Mitgift zu verhandeln. Er war nicht mehr so mittellos wie bei seiner Ankunft auf den Inseln, als er nicht mal ein Wams und ein Schwert besessen hatte. Der Sieg über Folkmar hatte ihm nicht nur Ruhm und Ansehen, sondern auch den Besitz seines Herausforderers eingebracht. Die Kleider, das Kettenhemd, die Werkzeuge und die arabischen Silbermünzen, die er im Haus des Toten gefunden hatte. Von alldem wussten die Mitglieder der Sippe. Doch sie hatten nicht gesehen, wie er den faustgroßen Barren Hacksilber aus einer Mulde unter der Schlafstatt gezogen hatte. Ein kleines Vermögen, das Folkmar wohl angesammelt hatte, um Gunnhild und ihren Vater beeindrucken zu können. Hakon hatte es in seinem Wams versteckt in der Hoffnung, es könnte ihm auf seiner gefährlichen Reise nützlich sein - falls er es jemals schaffte, die Schafsinseln unverheiratet zu verlassen.
    Allzu schnell war die Knorr fertig und stand zur Jungfernfahrt bereit. Auch wenn die Sonne nur zaghaft aus ihrem Versteck gekommen war und graue Wolken über den Himmel zogen, war es ein besonderer Tag. Kolfinn war selbst zum Strand gekommen, um seinen Platz am Achtersteven einzunehmen, wenn das Schiff zum ersten Mal die Wellen kreuzte. Nafni, Hakon und alle anderen, die beim Bau geholfen hatten, durften ebenfalls an Bord. Nafni, obwohl von ungewöhnlich schmächtiger Gestalt, war bei den Männern, die den schweren Mast aufrichteten und das rot-weiß gestreifte Segel aufrollten und vertäuten, und er war es auch, der triumphierend in sein Horn blies, als die Knorr langsam aus der Bucht fuhr.
    Als sich das aus doppelt gewalkter Wolle gefertigte Segel knarrend unter einer starken Brise blähte, lächelte Kolfinn zufrieden. Nafni und seine Männer hatten erstklassige Arbeit abgeliefert. Die Knorr lag sicher im Wasser, das ideale Schiff für Handelsfahrten über das offene Meer, und durch ihren breiten Rumpf und den Kiel aus hartem Eichenholz robust genug, um auch in stürmischer See zu bestehen. In dem geräumigen Frachtraum zwischen den hohen Halbdecks würde man mehr Handelsgüter mitnehmen können als in dem alten Schiff, das schon einige Jahre seinen Dienst geleistet hatte.
    Für ein paar Stunden vergaß sogar Hakon die Sorgen, die ihn während der letzten Tage so geplagt hatten. Kein Gedanke an Gunnhild und die drohende Hochzeit, als die Knorr den schmalen Fjord verließ und zum ersten Mal die Wellen des offenen Meeres zerteilte, der Fahrtwind ihm ins Gesicht blies und er das Salzwasser auf seinen Lippen schmeckte. Ah, was für ein Gefühl, endlich wieder festen Boden zu verlassen und das Meer zu sehen, den Blick bis zum Rand der Erde schweifen zu lassen und das beschwingte Gefühl zu genießen, ohne alle Sorgen und Probleme in den Wind steuern zu können.
    »Gute Arbeit, mein Freund!«, lobte Kolfinn den Baumeister. »So habe ich mir unsere neue Knorr vorgestellt! Mit diesem Schiff werden wir nach Haithabu fahren und den Frachtraum mit den kostbarsten Waren aus fernen Ländern füllen. Wenn die Sonne zum dritten Mal aufgeht, brechen wir auf.«
    Die überraschende Kunde von der geplanten Fahrt nach Haithabu, dem riesigen Handelszentrum im äußersten Süden von Danmark, gab Hakon neue Hoffnung. Während der Rückfahrt durch den Fjord dachte er an nichts anderes. Und auch am Abend, als sie an den Holztischen saßen und die erste Fahrt der neuen Knorr mit einem riesigen Gelage feierten, schweiften seine Gedanken zu der bevorstehenden Reise ab. Während die anderen die Hörner stemmten und den starken Met in sich hineingossen, war er kaum bei der Sache und beteiligte sich auch nicht an den derben Trinksprüchen. Nur widerwillig sang er die lauten Lieder mit, die zu vorgerückter Stunde durch das

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