Der Stein der Wikinger
führte, und blickte sehnsuchtsvoll auf das Meer hinaus, dessen schäumende Wellen im flackernden Schein des Nordlichtes glänzten. Er sehnte sich nach diesen Wellen, konnte es kaum erwarten, an Bord des neuen Schiffes zu gehen und in die Ferne zu fahren.
Er war so in den Anblick des Meeres vertieft, dass er gar nicht merkte, wie eine Gestalt hinter ihn trat. Erst als er einen Schatten auf der feuchten Erde entdeckte, drehte er sich um. »Astrid!«, rief er überrascht. »Was tust du hier?«
»Dasselbe könnte ich dich fragen«, antwortete die junge Frau, die ihn nach seiner Rettung gepflegt hatte. Sie trug einen langen Mantel über ihrem wollenen Ärmelkleid, die Kapuze über den geöffneten Haaren, und glich den Elfen, von denen die Skalden in ihren Sagas erzählten. Eine anmutige Gestalt, die ihn mit ihren sanften Augen und ihren ebenmäßigen Gesichtszügen verzaubert hätte, wäre er nicht so besessen von seinem Traumbild gewesen. »Aber Gunnhild hat mir verboten, mit dir zu reden. Wirst du sie heiraten?«
»So ist es beschlossen«, antwortete er ausweichend.
»Du hast etwas anderes vor, nicht wahr? Ich sehe es an dem Ausdruck in deinen Augen. Sei vorsichtig, Hakon. Gunnhild ist eine gefährliche Frau. Hüte dich vor ihrer Rache, denn sie wird dir bis ins Reich der Götter folgen.«
»Ich fürchte niemand.«
»Gunnhild ist gefährlicher als die meisten Männer«, sagte sie so leise, als hätte sie Angst, die Tochter des Jarls könnte sie hören. »Wer sich diese mächtige Frau zur Feindin macht, bekommt es mit einem Berserkir zu tun. Sie schwingt die Axt und das Schwert beinahe so geschickt wie ihr Vater.«
Er blickte sie forschend an.
»Denke an meine Worte, mein Freund!«
Wenige Augenblicke später war sie verschwunden, und er war wieder allein mit dem Rauschen der Wellen und dem leisen Pfeifen des Nachtwindes.
9
Die Worte der jungen Astrid verfolgten ihn bis in den Schlaf und ließen ihm auch am Morgen ihres Aufbruchs keine Ruhe. Als er sich von Gunnhild verabschiedete und ihre Hände auf seinen Schultern spürte, sah er in Gedanken, wie diese Hände den Knauf eines Schwertes umfassten und es durch die Luft schwangen, und als er Astrid hoch oben auf den Klippen stehen sah, hörte er noch einmal ihre Worte: »Hüte dich vor ihrer Rache, denn sie wird dir bis ins Reich der Götter folgen!«
Erst auf dem Schiff, als sie die sanfte Dünung der Schafsinseln hinter sich gelassen hatten, verdrängte er den Gedanken an Gunnhild. Er zog sein Schwert und ließ seinen Daumen prüfend an der scharfen Klinge entlangfahren. Obwohl er nicht den geringsten Schmerz verspürte, entdeckte er plötzlich Blut auf der Innenseite seines Daumens. Er lächelte zufrieden. Mit einer solchen Waffe und der neuen Kraft, die er in diesem Frühling auf den Schafsinseln gewonnen hatte, brauchte er keinen Feind zu fürchten.
»Eine scharfe Klinge«, bemerkte Nafni anerkennend. Der Schiffsbauer gehörte zu den zehn Männern, die Kolfinn auf die Reise mitgenommen hatte, alles tapfere Kämpfer, aber auch beim Feilschen den meisten anderen überlegen. Außerdem waren drei Frauen, darunter Helga, die Gattin des Jarls, an Bord. Gunnhild hatte er zu Hause gelassen, sie sollte sich auf die Hochzeit vorbereiten. Im Frachtraum waren vier junge Sklaven eingesperrt, die man meistbietend verkaufen wollte. Als Tauschwaren hatte man vor allem Schmuckstücke aus Elfenbein und wertvolle Pelze mitgenommen. Die beiden Pferde waren mit Stricken an den Mast gebunden.
Hakon blickte den Schiffsbauer an und zwang sich zu einem Lächeln. »In Haithabu wird es mehr auf meine Zunge ankommen. Ich habe gehört, diese Araber verstehen sich besser als alle anderen auf den Handel.«
»Das ist wahr«, erwiderte Nafni, der sich mit einem Bärenfell gegen den Wind schützte. »Vor zwei Wintern schwatzte mir einer dieser Muselmänner die Hälfte meines Silbers ab, und alles nur für einen Ballen Seide.«
Sie brauchten sechs Tage und sechs Nächte für die Reise nach Haithabu. Besonders während der ersten Tage, die sie ausschließlich auf hoher See verbrachten, zeigte sich, welch gute Arbeit vor allem Nafni geleistet hatte. Die Knorr lag sicher im Wasser und passte sich auch heftigen Wellenbewegungen an. Die Fugen waren dicht, und die Planken verschoben sich in unruhiger See so wenig, dass kaum Wasser ins Schiff drang. Das rot-weiß gestreifte Segel war ständig mit Wind gefüllt und zog an den Tauen aus geflochtener Walrosshaut. Wie ein stolzer Feldherr stand
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