Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Stein der Wikinger

Der Stein der Wikinger

Titel: Der Stein der Wikinger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Jeier
Vom Netzwerk:
die Köpfe bis auf einen gefärbten Haarkamm kahl geschoren, die Gesichter mit grellen Farben bemalt. Selbst im nebligen Dunst glaubte sie die tödliche Entschlossenheit in ihren Augen zu erkennen.
    Jetzt wusste Ayasha, warum die Eule geschrien hatte. Gegen so viele Krieger hatten ihre Stammesbrüder keine Chance, die Übermacht war erdrückend. Vor allem wenn sie ohne Vorwarnung über das Dorf herfielen. Sie musste ihre Leute warnen, um ein Blutbad zu verhindern. Auch dann, wenn es ihren eigenen Tod bedeutete. Das Leben der vielen Frauen und Kinder, die in ihrem Dorf gerade ahnungslos aus ihren Fellen krochen, war wertvoller als ihr eigenes. Sie zögerte nicht länger, formte einen Trichter mit ihren Händen und stieß den Kriegsruf ihres Volkes aus. Der kehlige Schrei drang wie der Schmerzenslaut eines in die Enge getriebenen Tieres über den Fluss.
    Die feindlichen Krieger unterbrachen ihre Paddelschläge. Der Anführer in einem der vorderen Kanus deutete in ihre Richtung, rief einen Befehl, woraufhin sich eines der Boote von der Hauptstreitmacht löste. Wütend paddelten die Krieger in ihre Richtung. Die anderen Boote bewegten sich weiter flussaufwärts, kaum noch gedeckt. Der Überraschungseffekt war dahin. Die Feinde waren zwar immer noch in der Übermacht, aber ihre Stammesbrüder waren gewarnt und würden sie gebührend empfangen. »Viele Krieger in Kanus!«, rief sie. »Sie greifen das Dorf an!«
    Erst als die ersten Krieger ihres Dorfes am fernen Ufer auftauchten und sie sicher sein konnte, dass man sie gehört hatte, rannte sie davon. Sie ahnte, dass sie kaum eine Chance haben würde, den Feinden zu entkommen, aber sie hatte keine andere Wahl. Das Boot kam immer näher. Sie sah nicht, wie einer der geschorenen Männer einen Pfeil auf seinen Bogen legte und die Sehne spannte. Mit einem sirrenden Geräusch flog der Pfeil an ihr vorbei und blieb in einen Birkenstamm stecken. Ein zweiter Pfeil bohrte sich in ihre linke Schulter und warf sie zu Boden. Hinter sich hörte sie den Siegesschrei des Schützen.
    Feuriger Schmerz durchzuckte ihren Körper. Ein verzweifelter Schrei kam über ihre Lippen, ging in ein gequältes Wimmern über. Seufzend schloss sie die Augen. Die dunklen Wogen eines unsichtbaren Meeres drohten ihr das Bewusstsein zu rauben und saugten die Energie aus ihrem Körper. Mit letzter Kraft kroch sie durchs Unterholz, den gefiederten Pfeil im Fleisch, den drohenden Tod vor Augen. Nur noch wenige Augenblicke, dann würden die feindlichen Krieger auftauchen und sie ins Reich der Nordlichter schicken.
    Sie rollte sich auf den Rücken, um dem Tod in die Augen sehen zu können und die feindlichen Krieger mit ihrer Tapferkeit zu demütigen. Nicht einmal ein Seufzen drang über ihre Lippen, als die Männer sie erreicht hatten und einer von ihnen die schwere Kriegsaxt hob, um ihr den Schädel zu zertrümmern.

HAKON
    8
    Seit seinem Sieg über den erfahrenen Folkmar hatte Hakon die Gewissheit, ein vollwertiger Krieger zu sein. Einen Mann wie ihn niedergerungen zu haben, verlieh ihm ein seltenes Hochgefühl, das durch alle Adern seines Körpers floss. Der Kampf hatte seinen Körper gestählt und ihm neue Kraft verliehen.
    Doch die Freude währte nicht lange. Er brauchte nur in die blitzenden Augen von Gunnhild zu blicken, um sich der schwerwiegenden Folgen seiner Tat bewusst zu sein. Sie wartete bereits ungeduldig auf den Hochzeitstag und die feierliche Nacht, in der sie zum ersten Mal unter seine Decke kriechen würde. Vor den anderen Frauen prahlte sie bereits damit, dass er ihr einen so stattlichen Sohn schenken würde, dass selbst der mächtige Thor vor Neid erblassen würde. Hakon erschreckte die Vorstellung, sich mit der kräftigen und fordernden Gunnhild in ein Bett legen zu müssen.
    Jeden Abend, wenn er den Hammer aus der Hand legte und vom Strand zum Langhaus seiner Sippe hinaufstieg, empfing ihn die Walküre, wie sie sich selbst nannte, mit ungeduldiger Miene und den Worten: »Du zögerst lange, Hakon. Wann willst du mit meinem Vater den Tag unserer Hochzeit bestimmen?«
    Und jedes Mal antwortete er: »Solange wir an dem neuen Schiff bauen, geziemt es sich nicht, wegen einer Feier die Arbeit ruhen zu lassen. Warte, bis wir die Knorr ins Wasser geschickt haben, und ich verspreche dir, ein Gelage zu veranstalten, von dem man noch in vielen Wintern sprechen wird.«
    Ein leeres Versprechen, denn für ihn gab es nur noch die unbekannte Frau, die er in dem Buch gesehen hatte. Wie er das Buch

Weitere Kostenlose Bücher