Der Stein der Wikinger
mit beiden Händen am Boden ab. Er wagte kaum zu atmen. Wenn Ivar ihn entdeckte, würde es unweigerlich zum Kampf kommen, auch wenn bewaffnete Auseinandersetzungen in Haithabu streng verboten waren.
Mit klopfendem Herzen kauerte Hakon zwischen den Kisten. Auch seine Hand lag am Schwert, weil er verhindern musste, dass er mit der Klinge gegen die Kisten stieß, und sich auf diese Weise verriet. Am liebsten hätte er sein Herz angehalten, aus Angst, das Klopfen könnte ihn verraten.
Als Ivar an den Resten des Herdfeuers vorbeilief, sah Hakon den Gegenstand in dessen linker Hand genauer. Er war rechteckig und mehrfach in braunes Wildleder eingewickelt. Auf einer Seite war das Leder etwas zur Seite gerutscht und gab den Blick auf einen strahlenden roten Edelstein frei.
Das Buch! Das Buch, nach dem er suchte!
Hakon wäre am liebsten aufgesprungen und hätte es ihm aus der Hand gerissen. Das Christenbuch, das ihm den Weg zu der geheimnisvollen Frau weisen würde! Der einzige Schatz, an dem ihm gelegen war. Das Wertvollste und Einmaligste, was er jemals in seinen Händen gehalten hatte.
Es kostete ihn beinahe übermenschliche Anstrengung, nicht aufzuspringen und nach dem Buch zu greifen. Nur die Angst, mit einer unbedachten Bewegung sein Leben aufs Spiel zu setzen, hielt ihn zurück. Ivar war der härteste Gegner, dem man in einem Schwertkampf gegenüberstehen konnte, und wenn Ingolf und Gunnar eingriffen, würde er nicht mal einen Atemzug lang überleben.
Zwischen den Kisten hindurch beobachtete er, wie Ivar leise fluchend zu dem Händler zurückkehrte. In einer Mischung aus Wut und Verzweiflung und der Erleichterung darüber, dass Ivar ihn nicht entdeckt hatte, stieß er den angehaltenen Atem aus. »Wenn du mich belogen hättest, wäre es dir schlecht ergangen«, sagte Ivar grimmig zu Björn. »Und deinen Bernstein kannst du behalten.«
»Es sind wirklich kostbare Stücke, mein Freund«, der Händler dachte schon wieder ans Geschäft. »Du weißt, dass unser Bernstein besonders kostbar ist?«
»Ich will Silber, weiter nichts«, erwiderte Ivar grimmig und stampfte gefolgt von seinen Männern aus dem Haus.
Hakon wartete eine ganze Weile, bis er sich aus seinem Versteck wagte. Er ging zur Tür, suchte die Menschenmenge nach Ivar ab und nahm aufatmend die Hand vom Schwert, als er ihn nirgendwo mehr sehen konnte. Er kehrte zu Björn zurück. »Ich danke dir, mein Freund. Du hast mir das Leben gerettet.«
»Die Burschen sahen nicht so aus, als wären sie besonders zimperlich«, erwiderte Björn mit einem amüsierten Funkeln in den Augen. »Ich weiß nicht, was du ihnen angetan hast, und möchte es auch gar nicht wissen, aber du solltest vorsichtig sein.« Er blickte ihn listig an. »Es muss etwas sehr Schlimmes sein, wenn du mir dafür ein Stück von deinem Silber anbietest.«
Hakon zog den kleinen Silberbarren unter seinem Wams hervor und überließ es dem Händler, ein Stück abzuhacken. Darum hätte er zwei oder drei Bernsteinketten kaufen können, aber er bereute sein Angebot nicht. Ohne das Silber hätte Björn ihm bestimmt nicht geholfen, kein Händler tat etwas ohne Bezahlung, auch wenn er einem noch so freundlich gesinnt war.
»Du siehst, ich habe dich nicht übervorteilt«, sagte Björn, als er ihm den Rest des Silbers zurückgab. Er grinste. »Warum hast du mir dein Silber nicht früher gezeigt? Hattest du Angst, ich würde dir eine teurere Kette andrehen?«
»Wäre das so abwegig gewesen?«
»Natürlich nicht, mein Freund.«
Hakon verabschiedete sich und trat ins Freie. Er lief ein paar Schritte, bis der Händler ihn nicht mehr sehen konnte, und blieb vor einem Haus stehen, das nur durch einen Holzsteg und eine schmale Treppe vom Flussufer getrennt war. Im knietiefen Wasser eines Kanals, der vom Fluss bis zwischen die Häuser führte, standen zwei Frauen und wuschen Wäsche.
Beide blickten besorgt zum Himmel. Dunkle Wolken waren aufgezogen und in weiter Ferne schwang Thor donnernd seinen Hammer. Frischer Wind wehte durch die Gassen und trieb allerlei Unrat vor sich her. Ein Hund bellte nervös.
»Das gibt ein Unwetter«, sagte die eine.
»Und was für eins«, erwiderte die andere. »Weißt du noch, wie tief der Schlamm letztes Mal war? Da sind sogar Rinder und Schafe drin versunken.«
»Odin steh uns bei!«
Hakon lief unschlüssig weiter. Die Vernunft riet ihm, zu den Zelten zurückzukehren und den Eisländern aus dem Weg zu gehen. Selbst in diesem Getümmel würde es ihm niemals gelingen, seinem
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