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Der Stein der Wikinger

Der Stein der Wikinger

Titel: Der Stein der Wikinger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Jeier
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seine schützenden Hände unter das Schiff hielt und es auf eine rettende Küste zu schob. Die dunklen Wolken waren weitergezogen, die Sonne schien und das Meer war so ruhig wie selten.
    Hakon wickelte das Tau von seinem Körper und kroch zu den anderen Männern, die alle im vorderen Teil des Wracks lagen. Verwundert stellte er fest, dass sein Schwert noch in der Schlinge hing. Bis auf Valgard, der sein Schwert wie einen rettenden Anker in der Rechten hielt, hatten alle ihre Waffen verloren. Er blickte in die Augen eines stöhnenden Ruderers und wollte etwas sagen, brachte aber nur ein Krächzen zustande. Der Mann hatte sich ein Bein gebrochen und würde nicht mehr lange leben. Der zersplitterte Schenkelknochen ragte blass aus der Haut hervor. Hakon erkannte die stumme Bitte in den Augen des Mannes, ihn von seinen Schmerzen zu erlösen, schaffte es aber nicht, sein Schwert gegen ihn zu erheben.
    Zwei andere Männer, die er berührte, waren tot, ebenso ein junger Heißsporn, der ganz begierig darauf gewesen war, in den Krieg zu ziehen, und sich nun das Genick gebrochen hatte und seltsam verkrümmt an Deck lag. Die restlichen Männer lebten noch, aber ohne Verletzungen war keiner davongekommen. Sie waren in einem ähnlich bedauernswerten Zustand wie ihr Schiff und würden nicht mehr lange durchhalten. Alle waren sie dem Tode geweiht, wenn sie nicht bald eine Küste erreichten, denn es gab an Bord nichts mehr zu essen und, was noch viel schlimmer war, nichts mehr zu trinken.
    Er rieb sich mit dem Handrücken über die spröden Lippen. Noch waren seine schulterlangen Haare nass und seine Kleider mit Wasser vollgesaugt, aber der Durst quälte ihn schon jetzt, mehr als der Hunger und die Angst, bis zum Ende im Meer zu treiben. Durst konnte schlimmer als der Tod sein, hatte er von erfahrenen Kriegern gelernt.
    Mit der ausgestreckten Hand berührte er Valgard an der Schulter. Er wollte ihn rufen, aber wieder kam nur ein heiseres Krächzen über seine Lippen. Er räusperte sich ein paarmal. »Valgard! Bist … bist du am Leben?«
    Der Jarl schien erst jetzt aus seiner Bewusstlosigkeit zu erwachen und drehte vorsichtig den Kopf. Bis er in der Lage war zu antworten, verging eine halbe Ewigkeit. »Hakon … bist du das? Die Götter meinen … es gut mit dir.«
    »Die Götter gewähren uns nur etwas Aufschub«, erwiderte Hakon. »Wenn wir nicht bald eine Küste erreichen und Wasser bekommen, sterben wir alle auf hoher See.« Er nahm Valgard das Schwert ab, damit es nicht ins Wasser fiel, und half ihm sich aufzurichten. »Bist du verletzt? Tut dir etwas weh?«
    Valgard sank erschöpft gegen die Bordwand. Trotz seiner Kraft hatte ihn die Bewegung so angestrengt, dass er für einen Moment die Augen schließen musste. Als er sie wieder öffnete, war etwas Farbe in sein Gesicht zurückgekehrt. Der Anblick des zerstörten Schiffes und der wenigen Überlebenden ließ ihn lange schweigen. »Warum haben Odin und Thor das zugelassen?«
    Über fünfzig Männer waren dem Sturm zum Opfer gefallen. Der brausende Wind und die tosenden Wellen hatten sie hilflos von Bord gespült und in die Tiefe gedrückt. Nur acht Überlebende, die langsam aus ihrer Bewusstlosigkeit erwachten und von denen mindestens drei den Sonnenuntergang nicht mehr sehen würden.
    Valgard war fast unverletzt, außer einer harmlosen Wunde am linken Oberarm und ein paar Prellungen und Schrammen hatte er nichts abbekommen. Er betastete seinen Körper und seufzte erleichtert. Obwohl es vielleicht besser gewesen wäre, wenn ihn das Meer verschlungen hätte. Auch wenn ihn kaum Schuld traf, würde er als Versager nach Hause zurückkehren. Falls er jemals wieder eine Küste erreichte. Von einem Anführer wie ihm erwartete man, dass er das Meer gut genug kannte, um einen Sturm vorauszuahnen. »Ich bin schuld«, sagte er. »Ich hätte die Zeichen deuten müssen.«
    »Es gab keine Zeichen«, erwiderte Hakon, obwohl er lange nicht so viel Erfahrung wie der Jarl hatte und es gar nicht wissen konnte. »Der Sturm kam so plötzlich, dass jeder Seefahrer überrascht gewesen wäre. Dich trifft keine Schuld. Die Götter wollten es so.« Er reichte ihm das Schwert zurück und blickte über ihn hinweg aufs Meer. Bis zum Horizont erstreckte sich der graue Ozean, eine scheinbar endlose Wasserwüste. »Wo sind wir?«
    Valgard strich sich die nassen Haare aus der Stirn. Das Wrack schwankte unter seinen Bewegungen. Er hielt sich am Vordersteven fest, der nur noch zur Hälfte aus dem Wasser ragte,

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