Der Stein der Wikinger
Ruderteil an die Stirn, er griff sich an die blutende Wunde und wurde von seiner Bank gefegt, stolperte wie ein Betrunkener durch das Schiff und wurde von einer gewaltigen Welle über Bord gespült. Mit ihm verschwanden ein halbes Dutzend anderer Männer in den schäumenden Wellen.
Hakon blickte ihnen entsetzt nach und presste beide Hände gegen das Buch an seiner Brust. »Hilf mir, Odin! Halte deinen Wagen an, Thor!«, schrie er in den Sturm. »Noch bin ich nicht am Ziel!« Er stolperte nach rechts und klammerte sich an eine Gabelstütze, bekam ein Tauende zu fassen und schlang es mehrmals um die Stütze und seinen Körper. So hatte er einen besseren Halt, zumindest für den Augenblick. Durch den strömenden Regen erkannte er schemenhaft, wie der Vordersteven nach oben stieg und wieder nach unten fiel, wie das Schiff orientierungslos in der stürmischen See trieb.
Entsetzt spürte er, wie es sich nach links drehte und den tobenden Wellen die ungeschützte Breitseite bot, doch er konnte nichts tun und war genauso zur Untätigkeit verdammt wie die anderen Männer, die noch bei Bewusstsein waren, musste hilflos mit ansehen, wie gewaltige Wellenberge auf sie zurollten und donnernd über ihnen zusammenschlugen.
Im ohrenbetäubenden Lärm der krachenden Planken und der verzweifelten Schreie sterbender Männer verlor er das Bewusstsein, versank in einem dunklen Nichts, das ihm in diesem Augenblick wie das Paradies vorkam.
17
Als Hakon die Augen öffnete, war er fest davon überzeugt, sich im Jenseits zu befinden. Um ihn herum war blendende Helligkeit, und er fühlte sich so benommen, als würden ihn die Walküren auf seiner letzten Reise nach Walhall tragen. Erst als er den Kopf hob, erkannte er, dass das Licht von einigen wenigen Sonnenstrahlen kam und er immer noch unter den Lebenden weilte.
Stöhnend wartete er, bis sich seine Augen an das Licht gewöhnt hatten. In seinem Kopf waren unzusammenhängende Bilder. Loki, von einem Blitz als hinterhältiger Gott des Feuers und der List geboren, wie er sich in einen riesigen schwarzen Vogel verwandelt und einen dunklen Schatten auf ihr Schiff wirft. Gewaltige Wellenberge, die sich unter seinen dunklen Flügeln aufbäumen und das Meer in ein tobendes Inferno verwandeln. Die Totengöttin Hel, die von seinen Schwingen steigt und die Männer ins eisige Niflheim entführt.
Seine Hände ertasteten die zerborstenen Planken des Schiffes, das wie ein Trümmerhaufen in der ruhigen See trieb und das Unwetter wie durch ein Wunder überstanden hatte. Njörd, der Schutzgott aller Fischer und Seefahrer, musste Loki aus seinem Reich vertrieben und die Skaid vor dem Untergang gerettet haben. Viel war nicht mehr von dem Schiff übrig. Wie ein sterbendes Tier trieb es im Meer, ein Teil des zerborstenen Hecks im Wasser, ohne das Segel, das von der riesigen Welle ins Meer gerissen worden war, ohne Steuer und Ruderblätter, dem endgültigen Untergang geweiht, wenn Njörd seine schützende Hand von ihnen nahm und Loki sie der Todesgöttin in die Arm trieb.
Mit zitternden Händen griff Hakon nach dem Buch unter seinem nassen Wams. Es war noch an seinem Platz. Nicht einmal die Welle, die ihre Breitseite getroffen hatte, war durch die wasserdichte Robbenhaut gedrungen. Erleichtert schickte er ein Dankgebet zum Himmel. Die Götter hatten ihn beschützt und in einer scheinbar ausweglosen Lage vor dem Tod bewahrt.
Aufatmend rieb er sich das Salzwasser aus den Augen und stützte sich auf die Ellenbogen. Er lag auf dem Schiffsboden, zwischen einigen Kisten, die seltsamerweise nicht über Bord gegangen waren, um die Hüften noch das Tau, mit dem er sich an die Gabelstütze gebunden hatte. Als er vorsichtig seine Beine bewegte und mit dem linken Fuß an die Bordwand stieß, stöhnte er vor Schmerz. Erst als er sich mit beiden Unterarmen weiter nach oben gestemmt hatte, sah er seinen geschwollenen Knöchel. Anscheinend hatte ihn eine abgesplitterte Planke getroffen. Es würde einige Zeit dauern, bis er wieder laufen konnte. Ob er jemals wieder festen Boden unter die Füße bekam?
Er blickte sich besorgt um. Außer ihm lagen nur noch zehn andere Männer in dem Wrack, darunter auch Valgard, der über der Reling hing. Wie viele von den zehn Männern lebten, vermochte Hakon nicht zu sagen, die meisten hatten die Augen geschlossen. Das Wrack trieb steuerlos in der Strömung und bewegte sich zügig nach Nordwesten. Dass es noch nicht gesunken war, konnte er sich nur damit erklären, dass Odin oder Njörd
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