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Der Stein der Wikinger

Der Stein der Wikinger

Titel: Der Stein der Wikinger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Jeier
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und blickte in die Ferne, ließ seinen geübten Blick über die Wellen streifen. Sein Rabe war verschwunden, und die Peilscheibe, die ihm den genauen Sonnenstand anzeigte, war im Meer versunken, aber einem erfahrenen Seefahrer blieben noch viele andere Mittel, um den Kurs oder die Position zu bestimmen. Er bestimmte die Richtung, in der sie über die Wellen trieben, und beobachtete, wie schnell sie waren. Indem er sich über die Reling beugte und eine Hand ins Wasser hielt, konnte er an der Temperatur des Wassers erkennen, in welchem Teil des Meeres sie sich befanden. Ein solches Wissen wurde von einem Seefahrer zum nächsten weitergegeben, auch Hakon hatte als Heranwachsender viel darüber gelernt. Valgard blickte zum Himmel.
    »Es gibt Hoffnung«, sagte er, nachdem er lange Zeit nachgedacht hatte. »Wenn mich nicht alles täuscht, sind wir keine Tagesreise von Eisland entfernt. Die Strömung führt zur Ostküste, so hat es mein Vater mir berichtet.«
    »Eisland«, wiederholte Hakon entsetzt. »Warum gerade Eisland?«
    Valgard rieb sich mit dem Ärmel übers Gesicht. »Weil die Götter es so wollen. Ich weiß, dass dort Männer wohnen, die deinen Tod wollen. Solveig hat es mir verraten. Aber besser Eisland als gar keine Küste, nicht wahr?«
    Hakon lehnte den Kopf gegen die Reling und schloss die Augen. Die Götter, die ihn leiteten, schienen ein grausames Spiel mit ihm zu treiben. Ausgerechnet in die Heimat seiner Sippe führten sie ihn zurück, in das Reich des Mannes, der alles daransetzen würde, um ihm einen möglichst grausamen Tod zu bereiten. »Ja«, erwiderte er dennoch, »jede Küste ist mir recht. Dieses Wrack hält nicht mehr lange durch, und wir brauchen Wasser, wenn wir überleben wollen. Eisland ist groß.«
    Valgard entspannte sich ein wenig. Die Erkenntnis, dass noch Hoffnung bestand, hatte seine Niedergeschlagenheit und seinen Missmut vertrieben. Voller Elan übernahm er wieder die Führung. »Hört mich an, dänische Krieger!«, rief er den wenigen Überlebenden zu, die inzwischen alle aus ihrer Bewusstlosigkeit erwacht waren und erschöpft auf dem Schiffsboden lagen. »Wir treiben auf die eisländische Küste zu. Wenn wir Glück haben und das Wrack hält, betreten wir noch heute Abend festen Boden. Wir schaffen es!«
    Normalerweise hätten seine Männer mit lautem Gejohle und zustimmenden Rufen geantwortet, aber in ihrer Erschöpfung waren sie nur zu kehligen Lauten oder leisem Stöhnen fähig. Der gewaltige Sturm und der Verlust ihrer Verwandten hatten sie zu Boden geworfen. Nur der frische Glanz in ihren Augen zeigte, wie die neue Hoffnung sie beseelte. Wenn sie wirklich überlebten, würden sie mit noch größerem Mut in den nächsten Kampf ziehen.
    Doch die Reise dauerte länger, als Valgard vermutet hatte. Als die Sonne am Horizont verschwand, war die eisländische Küste noch nicht zu sehen, und nichts deutete darauf hin, dass es bald der Fall sein würde. Valgard wartete ungeduldig auf das Erscheinen des hellen Polarsterns, der ihm helfen würde ihren Kurs zu bestimmen, aber als er endlich aufleuchtete, wusste der Jarl auch nicht mehr. Die einzige gute Nachricht war, dass ihr Kurs einigermaßen stimmte, denn wie hätten sie ihn ohne Segel und Ruder ändern sollen? Und was war, wenn sie an der rettenden Insel einfach vorbeitrieben? Bei den Nordmännern machte sich neue Niedergeschlagenheit breit.
    Hakon spähte in die Dunkelheit. Der Himmel war jetzt beinahe wolkenfrei, und der Mond und die Sterne leuchteten hell und überzogen das Meer mit silbrigem Glanz. Die Wellen waren so schwach, dass sie nur wenig schäumten und das Schwanken des Wracks kaum zu spüren war. Die Planken ächzten und knarrten leise. Einer der Männer hatte etwas Trockenfleisch in einer umgekippten Kiste gefunden und teilte es mit den anderen. Als er zu dem Ruderer mit dem gebrochenen Bein kroch und ihm etwas geben wollte, stellte er fest, dass der Mann gestorben war. Er hatte keinen Laut von sich gegeben.
    Sie wälzten ihn und die anderen Toten ins Meer und baten die Götter, sie an den Tisch der erfolgreichen Krieger in Walhall zu bitten. Wenn sie auch nicht im Kampf gefallen waren, so hatten sie im Sturm doch ihre Tapferkeit bewiesen und es verdient, nach Walhall zu gehen. Weil sie nichts besaßen, um die Toten zu beschweren, schwammen die leblosen Körper noch einige Zeit neben ihnen her, bevor sie im Meer verschwanden. Kurz nach Mitternacht starb ein weiterer Mann, sie bestatteten ihn auf die gleiche Weise.
    Keiner

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