Der Stein der Wikinger
Eisländer übertönt. Wie Berserkir führten sie sich auf, verwünschten selbst noch die Toten und hackten mit ihren Schwertern auf die leblosen Körper ein. Hakon brauchte sie nicht zu sehen, um sich das Gemetzel vorstellen zu können. Wenn Bekan bei ihnen war, würde das Blut in wahren Strömen über den Lavaboden fließen. Er würde nie verstehen, warum manche Nordmänner ihre eigenen Verwandten töten konnten, denn gehörten Eisländer und Dänen nicht zu einem Volk? Verlief ihr Leben nicht in den gleichen Bahnen und benutzten sie nicht eine ähnliche Sprache?
Das Gejohle entfernte sich langsam. Die Männer hatten genug und zogen davon. Was sie zur Küste getrieben hatte, wusste er nicht, vielleicht nur die Aussicht, ein Fischerboot zu überfallen und mit der Beute davonzuziehen.
»Dafür werdet ihr büßen!«, wollte er rufen, doch seine Kehle war immer noch trocken und niemand hörte ihn. Erschöpft sank er in den Sand zurück.
18
Hakon rammte sein Schwert in den Boden und zog sich ächzend daran empor. Die Waffe als Krücke benutzend, humpelte er den Pfad hinauf. Der Weg war steil und steinig, und er musste sich alle paar Schritte an der schwarzen Felswand abstützen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Der kühle Morgenwind trieb ihm den vertrauten Geruch von Blut entgegen.
Der Pfad wurde immer steiler. Verfilztes Gestrüpp wucherte aus den Gesteinsspalten. In ihrer Gier nach Wasser waren seine Begleiter darüber hinweggestiegen, aber er konnte kaum laufen und schon gar nicht über ein Hindernis springen.
Wütend hieb er mit dem Schwert darauf ein. Auch er brauchte dringend Wasser, wenn er überleben wollte. Wasser, erst einmal Wasser, dann war noch genug Zeit, um darüber nachdenken, wie er sich mit einem verrenkten Knöchel und blutigen Zehen aus seiner misslichen Lage befreien konnte.
Er hielt sich an einem Felsvorsprung fest und zog sich weiter nach oben, rutschte auf seinem verletzten Fuß aus und stürzte rücklings zu Boden, überschlug sich einmal und schlug mit dem Kopf gegen die schwarzen Lavafelsen. Obwohl er sich verzweifelt dagegen wehrte, verlor er das Bewusstsein.
Wie lange er von dunkler Nacht umgeben war, konnte er nicht sagen. Sein Kopf dröhnte, als er die Augen aufschlug, und in seinem Mund war kein Speichel mehr. Vergeblich versuchte er sich aufzurichten. Um ihn herum wirbelten bunte Schleier, legten sich auf ihn und drohten ihn zu ersticken.
Ein Schatten schob sich vor die Sonne. Ein Mann, der sich über ihn beugte und irgendetwas in der Hand hielt. Er schloss die Augen, öffnete sie wieder und sah jetzt etwas klarer. Ein Gesicht, ein rundes Gesicht mit dunklen Augen und einer viel zu dicken Nase. Dunkles Haar, kurz geschoren, und eine seltsame Kopfbedeckung. Ein Umhang aus einfacher Wolle, wie ein, wie ein …
Wie ein Pfaffe!
Hakon suchte nach seinem Schwert, tastete mit beiden Händen den felsigen Boden ab. Er richtete sich auf und sank schmerzerfüllt wieder zurück.
»Dein Schwert ist hier«, sagte der Pfaffe, »es lag im Gestrüpp.« Eine Stimme, die aus weiter Entfernung zu kommen schien und seltsam hohl klang. »Ich bin Bruder Patrick. Ich will dir helfen. Hier … ich habe Wasser von der Quelle geholt.« Er hielt ihm eine Schale an die trockenen Lippen.
Hakon griff nach dem Gefäß und trank gierig.
»Langsam!«, warnte ihn der Mönch. »Sonst wird dir übel.«
Doch Hakon war vollkommen ausgetrocknet und hätte ein Fass leer trinken können. »Mehr!«, verlangte er, als die Schale leer war. »Ich will mehr!«
Der Mönch verschwand und kehrte mit der gefüllten Schale zurück. Für Hakon war das frische Quellwasser ein Geschenk der Götter, ein Zaubertrank, der neues Leben in seinem Körper weckte. Er setzte die Schale ab und seufzte zufrieden. »Das tut gut«, rief er. Seine Stimme klang schon wieder klarer.
»Du bist verletzt«, sagte der Mönch. »Du brauchst Hilfe.«
»Ach, das geht schon«, erwiderte Hakon erfrischt. Er wollte aufstehen, sank bereits beim ersten Versuch zurück und blieb hilflos auf den Felsen liegen. Er wurde wütend. »Gib mir mein Schwert, Pfaffe! Nun mach schon!«
»Willst du mich töten?«
»Ich will aufstehen.«
Der Mönch griff nach dem knorrigen Krummstab, den er gegen die Felswand gelehnt hatte. »Hier, mit meinem Wanderstock erreichst du mehr!«
Hakon war noch viel zu benommen, um mit dem Pfaffen zu streiten, und zog sich an dem Krummstab empor. Schwankend blieb er stehen. Für einen Augenblick kehrten die Schleier vor
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