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Der Stein der Wikinger

Der Stein der Wikinger

Titel: Der Stein der Wikinger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Jeier
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der sechs Überlebenden schlief in dieser Nacht. Als könnten sie die Dunkelheit mit ihren Augen durchdringen und hinter den Horizont blicken, lehnten sie an der Reling und starrten hoffnungsvoll in die Richtung, in die ihr Wrack über die Wellen trieb. Nichts als endlose Nacht und der Glanz des Mondes und der Sterne. Die Götter stellten sie auf eine unmenschliche Probe.
    Alle Männer litten unter quälendem Durst, besonders Hakon, der nahe daran war, zum Berserkir zu werden, wenn er an frisches Quellwasser dachte. Am liebsten hätte er Salzwasser getrunken, der sichere Tod, wie er gehört hatte. Valgard besänftigte ihn mit leeren Worten: »Es kann nicht mehr weit sein.«
    Die Erlösung kam am frühen Morgen. Im ersten Licht der Sonne tauchten einige Möwen auf und flogen krächzend über das Wrack. Ein sicheres Zeichen dafür, dass sie sich in der Nähe einer Küste befanden. Die Männer richteten sich hoffnungsvoll auf. Der Durst hatte ihre Kehlen ausgetrocknet, und sie brachten kaum noch einen Ton heraus, verständigten sich lediglich durch Handzeichen und deuteten begeistert auf die Möwen. Die eisländische Küste war nahe, würde jeden Augenblick aus dem morgendlichen Dunst rücken.
    Als die Sonne wie eine blasse Scheibe über dem Erdrand stand, war es so weit. Zuerst als zarte Schatten, dann immer deutlicher zeichneten sich die steilen Klippen der Südküste gegen den hellen Himmel ab. Im Sonnenlicht wirkten das Schwarz der Lavafelsen und das Grün der satten Wiesen noch intensiver. Weiter östlich war das ewige Eis der riesigen Gletscher zu sehen.
    »Das war es also«, krächzte Valgard, »die Strömung hat uns zur Südküste abgetrieben. Jetzt kann uns nichts mehr passieren. Wir haben es geschafft!«
    Die Männer waren zu müde, um zu jubeln, grinsten aber zufrieden, als die Küste immer näher kam und plötzlich böig auffrischender Wind sie in einen Fjord trieb. Das Wrack glitt ans Ufer und blieb wie ein gestrandeter Wal im Sand liegen. Die Männer verließen das Schiff und torkelten an Land, konnten vor Schwäche und Benommenheit kaum stehen. Sogleich machten sie sich auf die Suche nach einer Quelle, ungeachtet der Gefahren, die auch an den Küsten befreundeter Länder lauern konnten. Denn es gab Sippen, die auch nicht davor zurückscheuten, andere Nordmänner zu töten, um sie vom Besiedeln des Landes abzuhalten oder nur aus Lust am Morden.
    Valgard und Hakon blieben stehen. Valgard, weil er sich dieser Gefahr bewusst war, und Hakon, weil sein Fuß schmerzte und er noch zu benommen war, um den anderen zu folgen. Er betrat seine Heimatinsel nur widerwillig, wusste er doch, wie groß der Einfluss von Ivar war und wie viele Männer ihn töten würden, um vor dem Jarl gut dazustehen. Doch alles blieb still, und nur das leise Heulen des Windes, der sich in den schroffen Winkeln des Fjords fing, und das Sprudeln einer Quelle waren zu hören. »Wasser!«, rief einer ihrer Männer. »Hier ist Wasser! Viel Wasser!«
    Jetzt hielt es auch Valgard und Hakon nicht mehr. Valgard lief in die Richtung, aus der die Stimme des Mannes gekommen war, und Hakon folgte ihm humpelnd. Wegen seiner Fußverletzung kam er nur langsam voran. »Geh nur! Ich komme nach!«, rief er Valgard zu, als der sich noch einmal umdrehte.
    Hinter dem Sandstreifen stieg das Land steil an, ein schmaler Pfad führte in das Gewirr der schwarzen Lavafelsen hinein. Valgard war bereits verschwunden, als Hakon den Pfad erreichte. Plötzlich drangen laute Schreie zu Hakon herunter. Jemand rief: »Schlagt die verdammten Fremden tot! Wir wollen sie nicht auf unserem Land haben!« Ein bestialischer Schrei erklang, dann noch einer und noch einer. »Feiglinge!«, erklang Valgards Stimme.
    Hakon zog sein Schwert und rannte los. In seiner Aufregung vergaß er vollkommen, dass er verletzt war, und stürzte nach wenigen Schritten zu Boden. Aus den Felsen drang das Klirren von Schwertern zu ihm herüber. Das musste Valgard sein. Er war der Einzige, der außer ihm bewaffnet war.
    Hakon arbeitete sich vom Boden hoch, das Schwert in der Rechten, lief drei Schritte und stürzte erneut in den Sand. Er fluchte unterdrückt. Auf allen vieren kroch er weiter, das Gesicht vor Schmerzen verzerrt. Er hatte die Stimmen erkannt. Sie gehörten den Männern seiner ehemaligen Sippe. Den Verwandten von Ivar. Ausgerechnet ihnen mussten sie in die Arme laufen!
    Das Klirren verstummte, und wenn Valgard einen Todesschrei ausgestoßen hatte, wurde er von dem Siegesgeheul der

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