Der Stein der Wikinger
erfahren genug, um die Zeichen zu deuten. Das ungewöhnliche Verhalten des Raben, die veränderte Farbe des Meeres, die Stärke der Strömung. Auch der Wind hatte seine Stimme erhoben und wühlte das Meer auf, trieb schäumende Wogen gegen die Schiffswände. Gischt spritzte über die Reling.
»Thor sei uns gnädig!«, stieß Hakon hervor. »Das gibt ein Wetter!«
Eyvind berührte das Kreuz und den Hammer.
»An die Taue!«, rief Valgard in den böigen Wind. »Holt das Segel ein! Legt den Mast um!« Seine Befehle hallten über die Rudernden hinweg, waren knapp und präzise, wie man es von einem Schiffsführer erwartete. »Holt die Schilde rein und versucht den Kurs zu halten! Beeilt euch, ihr Männer!«
Hakon gehörte zu den Ruderern, die das Segel einholten, es um die Rahe rollten und auf die Gabelstützen banden. Andere Männer lösten den Mast aus seiner Verankerung und legten ihn flach. Jeder zog seinen Schild aus der Halterung und verstaute ihn in einer Kiste oder unter dem Schlafsack, damit er sich nicht lösen und über Bord fliegen konnte. Stattdessen schoben sie Bretter in die Öffnungen, um die Bordwand zu erhöhen. Der Steuermann zog das Ruder so hoch, wie es ihm möglich war, jederzeit bereit, es ganz an Bord zu ziehen, falls der Sturm ein Steuern unmöglich machen sollte. Das alles geschah in wenigen Augenblicken und mit der Exaktheit einer gut eingespielten Mannschaft. Auch wenn Hakon bisher unter einem anderen Jarl gedient hatte, die Handgriffe waren überall gleich.
»An die Ruder!«, rief Valgard. Er musste schon schreien, um den immer lauter werdenden Wind zu übertönen. »Versucht den Kurs zu halten!«
Hakon berührte das Buch an seiner Brust und blickte nervös zum Himmel empor. Dunkle Wolken waren am Himmel aufgezogen und hingen so tief über den Wellen, dass es schien, als ob sie einander berührten. Der Wind sang nicht mehr, er pfiff und heulte, und Hakon konnte sich gut vorstellen, wie Thor sich vom Kutschbock seines Wagens erhob und die Zügel knallen ließ, die beiden Ziegenböcke mit wilden Schreien antrieb, um den Menschen wieder einmal zu zeigen, wozu ein mächtiger und zorniger Gott wie er fähig war.
Obwohl sie auf den Sturm vorbereitet waren, traf er sie so plötzlich, dass selbst erfahrene Krieger aufschrien. Thor rollte in einem gewaltigen Funkenregen und mit wütenden Schreien über sie hinweg, schleuderte seinen Hammer in die dunklen Wolken und sorgte für ein solches Getöse, dass Hakon beinahe die Nerven verlor. Wie die Ohrfeige eines gewaltigen Riesen traf der Sturm das Schiff, hob es aus dem Wasser und ließ es wieder in die schäumenden Wellen klatschen, legte es schief und richtete es wieder auf, ließ es zum Spielball der aufbegehrenden Elemente werden. Wie die gierigen Fangarme eines tobenden Ungeheuers lösten sich die Wellen aus dem Meer und griffen nach der Skaid, drohten sie in die Tiefe zu reißen.
Hakon stemmte sich mit aller Macht in sein Ruder, kämpfte verzweifelt gegen die Wucht des Unwetters an. Die Wellen wuchsen immer höher aus dem schäumenden Meer empor, trugen das Schiff auf schaumbedeckte Gipfel und ließen es in abgrundtiefe Täler krachen. Immer wieder trieb Thor seinen Streitwagen über sie hinweg, sauste der Hammer in die schwarzen Wolken und ließ sie wie sterbende Monster aufheulen. Feurige Blitze zuckten unter den Rädern des Wagens empor und sausten im Zickzack auf das Meer hinab. Der Wind war so laut, dass Hakon nicht einmal seine eigenen Schreie hörte. »An die Eimer! An die Eimer!«, schrie Valgard verzweifelt, aber keiner hörte ihn.
Krachend zerbarsten die ersten Ruder. Gewaltige Wellen stürzten über das Schiff hinweg und rissen die Fässer mit dem Trinkwasser um. Wahre Sturzbäche ergossen sich auf die Ruderer, klatschten ihnen ins Gesicht und nahmen ihnen den Atem. Hakons Ruder wurde ihm aus den Händen gerissen und verschwand im Meer. Sie waren in einen dieser gewaltigen Stürme geraten, der alles niederwalzte, was ihm in den Weg kam, und mit solcher Macht wütete, dass selbst ein erfahrener Seefahrer wie Valgard kein Mittel dagegen wusste.
Vor ihnen tat sich die Unterwelt auf. Alle bösen Geister schienen sich gegen sie verschworen zu haben. Alle Befehle und alles Schreien nützten nichts mehr, die Skaid war zu einem Spielball der tobenden Wellen geworden. Jeder war nur noch mit sich beschäftigt, klammerte sich an die Reling oder die festen Gabelstützen, um nicht von Bord gefegt zu werden. Neben Hakon flog Eyvind ein
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