Der Stein der Wikinger
seine Stimme: »Nimm dich vor Ivar dem Einarmigen in Acht. Es vergeht kein Tag, an dem er nicht laut deinen Namen verflucht. Soll … soll ich dich losbinden?«
Hakon schüttelte den Kopf. »Nein, mein Freund.« Ihm war selbst nicht klar, warum er ihn seinen Freund nannte. »Ich bekomme einen gerechten Prozess und werde in die Verbannung nach Grünland gehen. Du gehörst jetzt Ivar dem Einarmigen? Hat er dich von dem Araber zurückgekauft?«
»Nein«, antwortete er. Der freudige Glanz war aus seinen Augen verschwunden, und er sprach so leise, dass Hakon ihn kaum verstand. »Er hat ihn getötet. Wir waren vor dem Regen in einen Fjord geflohen und lichteten gerade den Anker, als die Eisländer kamen. Ivar schlug dem Araber den Kopf ab, als er erfuhr, dass er dir das Buch gegeben hatte. Auch seine Begleiter tötete er.«
»Nur dich hat er verschont?«
Edwin nickte. »Er wollte mich ins Meer werfen, aber das war ihm wohl nicht grausam genug. Jetzt behandelt er mich wie einen Hund. Ich werde sterben, wenn er es für richtig hält, sagt er. Aber ich habe keine Angst. Ich vertraue dem Gott, von dem sie gerade gesprochen haben. Ich vertraue Jesus Christus.« Er deutete auf Hakons Kreuz. »Ich sehe, auch du vertraust ihm jetzt.«
»Das ist nur eine Kette«, sagte Hakon.
»Wo bleibst du so lange?«, rief der junge Krieger von draußen. »Was hast du mit dem Gefangenen zu bereden? Du hast ihm das Essen gebracht, also verschwinde gefälligst!« Er zerrte Edwin aus der Hütte und stieß ihn fort.
Hakon löffelte gedankenverloren seinen Eintopf. Seltsamerweise trauerte er um Ibn Fadlan, einen klugen und scharfsinnigen Mann, der es nicht verdient hatte, von einem rohen Krieger wie Ivar getötet zu werden. Und alles nur meinetwegen, dachte Hakon beschämt. In seinem Hass tötete Ivar jeden, der seiner Rache im Weg stand. Er würde nicht eher Ruhe geben, bis er seine unbändige Wut an ihm auslassen konnte.
Später, im Halbschlaf, zweifelte er einen Augenblick daran, das Richtige getan zu haben. Würde Thorgeir ihn tatsächlich verbannen? Stand er tatsächlich so tief in Gunnars Schuld? Oder würde er ungerührt zusehen, wie Ivar den Prozess auf gewaltsame Weise beendete und einem waffenlosen Angeklagten das Schwert in den Bauch stieß? Hakon kannte den Rechtssprecher als weisen Mann und hoffte, dass er Ivar den Einarmigen in seine Schranken weisen würde. Aber wie kam Hakon ungehindert zur Küste? Würde Gunnar ihn tatsächlich begleiten? Was sollte er tun, wenn Ivar mit seinen Männern kam?
Der dumpfe Klang eines Horns riss ihn aus seinen Gedanken. Als vielfaches Echo schallte das Signal durch die Schluchten und rief die Eisländer vor dem Rechtsfelsen zusammen. Obwohl es während des Mittsommers kaum dunkel wurde, flackerte der Schein unzähliger Fackeln über die dunklen Felswände, als die Leute zum Versammlungsplatz strömten und erwartungsvoll zum Felsen hinaufblickten. Sogar der Krieger vor Hakons Hütte vergaß für einen Augenblick seinen Befehl und trat ein paar Schritte nach vorn. Hakon rutschte zur Seite, um besser durch die offene Tür sehen zu können.
Auf dem Felsen loderten die Flammen eines großen Feuers empor. In seinem orangeroten Schein erschien Thorgeir in seinem purpurfarbenen Umhang, die Arme ausgebreitet wie jedes Mal, wenn er ein wichtiges neues Gesetz verkündete. Seine weißen Haare schienen zu glühen. »Eisländer, hört mich an!«, rief er mit seiner erstaunlich kräftigen Stimme. »Ich habe euch etwas Wichtiges zu verkünden.« Er legte eine längere Pause ein, bis er sich der Aufmerksamkeit aller Zuhörer sicher sein konnte. »Zusammen mit den Vertretern unserer gesetzgebenden Versammlung habe ich über den neuen Glauben beraten. Hier ist, was wir nach bestem Gewissen entschieden haben, und glaubt mir, ich habe sehr lange darüber nachgedacht, seit mehreren Wintern schon, und die Entscheidung ist mir nicht leichtgefallen. Aber soll es zwei Völker und zwei Gesetze in Eisland geben? Sollen Nordmänner gegen Nordmänner kämpfen?« Er schwieg wieder, hob die Hände beschwörend nach oben und verkündete: »Wir nehmen das Christentum als neuen Glauben an.«
Sofort brachen Tumulte los. Die Anhänger des neuen Glaubens stießen laute Jubelrufe aus und tanzten vor Freude, die Gegner zückten wütend ihre Waffen und protestierten laut. Man hörte Schwerter klirren und eine Frau schreien. »Was sollen wir diesem verdammten Jesus Christus?«, rief jemand.
Einer der beiden Krieger, die neben
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