Der Stein der Wikinger
Männer und Frauen, die als Sklaven gekommen waren und inzwischen als freie Landarbeiter auf den Höfen lebten.
Oben angekommen kam Hakon aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Anders als in Eisland und auf den Schafsinseln leuchteten bunte Blumen auf den tiefgrünen Wiesen, blaue Glockenblumen, gelbe Butterblumen und rosafarbener Thymian. Zahlreiche Rinder und Schafe weideten auf den Hängen und ließen sich auch durch die vielen Menschen und das Rattern der Wagen nicht stören. Der Wind war auf den Anhöhen böig und frisch und trieb ihnen leichten Nieselregen entgegen, ein Wetter, das Hakon sehr vertraut war.
Das Langhaus der Sippe, der Erik der Rote vorstand, lag oberhalb des Fjords auf einem weiten Plateau. Wie die Häuser in Eisland und auf den Schafsinseln war es aus großen Steinen gebaut und mit Dächern aus Grassoden bedeckt, die fast bis zum Boden reichten, um den kalten Wind abzuhalten. Die anderen Häuser des Hofes lagen unterhalb in einem weiten Tal. Es roch nach den Überresten eines geschlachteten Seehundes, der wohl den Hunden als Nahrung gedient hatte, und den zerlegten Fischen, die über einem der zahlreichen Holzgerüste zum Trocknen hingen.
Erik der Rote und seine Frau standen in der offenen Tür und blickten ihnen erwartungsvoll entgegen. Erik war ein Hüne von einem Mann. Sein Haar, halblang und nach allen Seiten abstehend, und sein zottiger Bart leuchteten so rot, wie es sein Name vermuten ließ. Seine Haut war sogar für einen Nordmann erstaunlich weiß, und seine Augen strahlten so grün wie die Gletscherseen, die Hakon aus der alten Heimat kannte. Thjodhild, seine Frau, wirkte beinahe so stattlich wie Gunnhild von den Schafsinseln. Die Schlüssel, die an einer Kette von ihrem Kleid hingen, verrieten jedem Neuankömmling, wer im Haus das Sagen hatte.
»Da bist du ja«, begrüßte Erik seinen Sohn. Er fasste ihn an den Schultern und blickte ihm in die Augen. »Ich dachte schon, die Pfaffen hätten dich so verblendet, dass du in einem dieser Klöster geblieben wärst! Hast du noch nicht genug von deinem Jesus? Glaubst du immer noch, ein Gott, der vor seinen Feinden in die Knie gegangen ist, wäre besser als Odin oder Thor?«
»Erik!«, herrschte ihn seine Frau an. »Wann hörst du endlich damit auf? Wie oft habe ich dir schon gesagt, es ist eine Sünde, den Namen unseres Herrn in den Schmutz zu ziehen. Wenn ich dich nur einmal überreden könnte, zu unserem Gottesdienst in die Kapelle zu kommen, würdest du anders reden.« Sie schloss ihren Sohn in die Arme und küsste ihn auf die Stirn. »Dem Himmel sei Dank, dass du wieder zu Hause bist, Thorwald! Sei froh, dass du an den wahren Gott glaubst und kein Heide bist wie dein einfältiger Vater!«
Erik lachte dröhnend. »Hüte deine Zunge, Weib, sonst lasse ich deine Kapelle abreißen und diesen Schlappschwanz von einem Pfaffen zum Teufel jagen!« Er deutete auf Hakon und Edwin. »Wer sind diese beiden Männer?«
»Ich bin Hakon, der Sohn des Knut«, antwortete Hakon. Er ahnte, dass Erik lange nicht so raubeinig war, wie er sich gab, und seine Frau über alles liebte. »Man hat mich aus Eisland vertrieben, so wie man dich vor langer Zeit vertrieben hat. Ich bin gekommen, um in der Viehzucht zu arbeiten, aber im nächsten Sommer will ich mit Thorwald auf große Fahrt gehen. Ich will das fremde Land im Westen erkunden und mir einen Namen als Landsucher machen.
»Ah, so spricht ein wahrer Nordmann!«, erwiderte Erik anerkennend. Dann sah er das Kreuz auf seiner Brust, und sein Blick verfinsterte sich. »Bist du etwa auch einer von diesen Christenmenschen? Betest du zu diesem Jesus?«
»Ich bete zu allen Göttern, die mir von Nutzen sein können«, erwiderte Hakon. »So hat es auch Thorgeir, der Rechtssprecher meiner Heimat, am Thingvellir verkündet. Das Christentum ist die Religion aller Eisländer, doch wir sollen die alten Götter nicht vergraulen. Auch zu ihnen sollen wir beten.«
»Es gibt nur einen Gott«, sagte Thorwald leicht verärgert.
»Und wer bist du?«, wandte sich Erik an den ehemaligen Sklaven.
Hakon antwortete rasch: »Das ist Edwin, ein ehemaliger Sklave. Er versteht mehr von der Welt als so mancher Jarl und wird auf meinem Hof leben. Ich habe ihm die Freiheit geschenkt.« Tatsächlich hatte er Edwin niemals von seinen Pflichten befreit, aber Thorwald hatte es angenommen, und er hatte nicht widersprochen.
»Hast du ihm die Zunge aus dem Mund geschnitten?«
»Ich bin Edwin«, sagte der ehemalige Sklave, »ein freier
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