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Der steinerne Engel

Titel: Der steinerne Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol O'Connell
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dasselbe Gewicht - und Riker begriff, dass er in dieser Nacht allein getrunken hatte.
    Mist!
    Oder war Malcolm vielleicht doch ein echter Wundertäter?
    »Ihre Anhänger erzählen, dass Sie Wasser in Wein verwandeln können.« Und Cops in lallende Idioten.
    »Stimmt. Zieht bei den Leuten immer.«
    »Aber die Burschen gehen mit Ihnen auf Tournee, bereiten Ihre Auftritte vor. Wie können sie da noch glauben, dass Sie aus Leitungswasser wirklich Wein machen können?«
    »Die meisten Religionen verlangen unbedingten Glauben an das Unmögliche.« Er deutete auf die Gestalt des Gekreuzigten, die an dem Grabkreuz neben ihnen hing. »Es gibt Leute, die ernsthaft glauben, dass dieser Mann von einem Gott gezeugt wurde. Er konnte die Kranken heilen und die Toten erwecken. Ein echter Zauberer. Und sehen Sie das Grabmal dort? Da liegt eine Frau, die auch aus unserer Branche war.« Die Wände waren mit Graffiti beschmiert, um den Sockel herum lagen farbige Glasscherben, Bänder und Anstecknadeln. »Die Zeichnungen sind Voodoo-Symbole, die Sachen auf der Erde Opfergaben. Sie ist schon hundert Jahre tot, aber manche Leute glauben, dass sie ihre Zauberkraft bewahrt hat.«
    Malcolm stand auf, breitete die Arme aus wie ein Gekreuzigter und spreizte die Hände. Der Wind war kalt und blies ihm das Haar nach hinten, sodass sich die Schädelform abzeichnete. Sein Lächeln strahlte durch die Dunkelheit. »Hier in dieser Gegend glaubt die Welt noch an Zeichen und Wunder.«
     
    Dr. phil. Charles Butler, ein pragmatischerer, aufgeklärterer Denker des späten zwanzigsten Jahrhunderts, stand am Rand des Friedhofs und hielt einen Krug mit Blut in der Hand. Es war noch warm. Ein Huhn hatte dafür als Opfertier sein Leben lassen müssen.
    Unruhig blickte er sich um. Endlich sah er Malcolm und Riker über den Kiesweg kommen und hinter den Bäumen verschwinden. Malcolm hatte Riker einen Arm um die Schulter gelegt. Die Verführung war offenbar gelungen, denn Riker lachte, während der Wunderverkäufer mit ihm davonging.
    Charles wandte sich kurz zu Henry Roth um, der hinter ihm stand, dann traten sie gemeinsam an den Racheengel heran und fesselten ihm mit einem Strick die Flügel. Zum Austausch der Steinfiguren brauchten sie eine Stunde. Sie mussten sich beeilen, denn es wurde schon hell, und bald würden die Gläubigen herbeiströmen - und tief enttäuscht sein.
    Henry wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dann ging er zum Grab von Jason Trebec, steckte einen altmodischen Schlüssel ins Schloss und verstaute sein Werkzeug neben dem Hühnerblut und einem Block Trockeneis.
    Charles betrachtete das traurige Gesicht von Nancy Trebec.
    »Was meinen Sie, Henry, könnte Babe Laurie unfruchtbar gewesen sein?«
    »Möglich. Die Lauries vermehren sich normalerweise wie die Karnickel, aber Babes einziges Kind war ein Bankert.«
    »Was halten Sie von einem Bankert als Mordmotiv? Angenommen, Babe hat Freds Sohn missbraucht, und Fred hat zurückgeschlagen?«
    »Wenn es um uneheliche Kinder ging, sind schon schlimme Dinge geschehen.« Henry sah zu dem bröckelnden Basrelief eines Männerkopfs über der Tür hoch. »Jason Trebec hat sogar seiner
    Frau einen Prozess angehängt und versucht, Augusta für unehelich erklären zu lassen.«
    »Und glauben Sie, das stimmte?«
    »Nein, und der Richter hat es auch nicht geglaubt. Dazu war die Ähnlichkeit zwischen Vater und Tochter zu offensichtlich. Wenn das Relief nicht so verwittert wäre, könnten Sie es auch erkennen. Jason war vermutlich einfach auf eine Annullierung der Ehe aus, um mit einer anderen Frau einen Sohn zeugen zu können.«
    Henry hatte schon längst den Friedhof verlassen, als Charles noch immer in dem steinernen Abbild von Jason Trebec nach einer Ähnlichkeit mit Augusta suchte. Er fand sie in der Form eines erhaltenen Auges und den Resten des Mundes.
    Dann wandte er sich ab und schlug den Weg ein, der nach Osten führte. Die Sonne verbarg sich als blasse weiße Scheibe hinter der Wolkendecke. Die Vögel hatten wieder angefangen zu singen, aber jetzt hörte er über dem Gezwitscher noch einen anderen Laut. Er warf einen Blick über die Schulter.
    Riker schleppte sich vorwärts, als wiege jedes Bein einen Zentner. Er sah so grau aus wie der Himmel.
    »Hey, Charles. Hast du dir meinen Vorschlag noch mal durch den Kopf gehen lassen?«, fragte er klar und deutlich. Riker war sehr stolz darauf, dass er, auch wenn er gründlich abgefüllt war, nie mit schwerer Zunge sprach.
    Charles registrierte das

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