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Der steinerne Engel

Titel: Der steinerne Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol O'Connell
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wandte ihr Gesicht dem Gitter zu, das sie von dem Hund trennte.
    Dann hob sie eine Faust und schlug so heftig auf ihr Kissen ein, dass die Federn wie befreite Vögel in der Zelle herumflatterten. Sie warf die Bettdecke von sich, stand auf und trat barfuß ans Fenster, um der verrückten Serenade ihres Hundes besser lauschen zu können.
    Nach einer Weile verfiel der alte schwarze Labrador in erschöpftes Schweigen. Mallory legte sich wieder hin und schlief ein. Die von Federn übersäte Decke sah aus wie ein schützender Flügel.

8
    So früh am Morgen strahlte der Himmel geradezu unerhört blau. Die Luft war frisch und voller Vogelstimmen, als Charles die Baumreihe durchquerte, die als Windschutz diente und gleichzeitig die Grenze zwischen Dayborn und Owltown darstellte. Der ausgefahrene Weg mündete in eine gepflasterte Straße, die bogenförmig zu dem kleinen Geschäftsviertel von Owltown führte.
    Die Hauptstraße flankierten einfache ein- oder zweigeschossige Häuser aus verwittertem grauen Holz, die vermutlich schon ein paar Jahrzehnte dort standen. Auf den ersten Blick aber wirkten sie wie flüchtig zusammengenagelte Jahrmarktsbuden. In jedem dritten Schaufenster verkündete ein leuchtendes Neonschild, dass hier Schnaps glas- oder viertelliterweise zu haben sei.
    Ein vorbeirasender Wagen wirbelte Müll und Staub auf. An den Bordsteinkanten lagen zerbrochene Flaschen. Und der schlafende Betrunkene, der zur Hälfte auf dem Gehsteig, zur Hälfte auf der Fahrbahn lag und nach abgestandenem Whisky und Erbrochenem stank, hielt seine Flasche noch fest in der Hand. Charles hörte ihn zufrieden schnarchen, als er an ihm vorüberging.
    Eine Frau kam ihm entgegen. Sie hinkte so stark, dass man den Eindruck hatte, ein Bein sei gut sieben oder acht Zentimeter kürzer als das andere. Bei näherem Hinsehen erkannte Charles, dass sie einen ihrer hochhackigen Pumps in der Hand hielt und auf einem nackten Fuß und einem Schuh über den Gehsteig humpelte. Das messingrote Haar sah aus wie zerknautschte Zuckerwatte, das blaue Paillettenkleid glitzerte in der Sonne, und das tränenüberströmte Gesicht war schwarz von der zerlaufenen Wimperntusche.
    Charles hob die Hand und wollte gerade fragen, ob er ihr helfen könne, als neben ihm ein Wagen hielt und eine ihm inzwischen vertraute Stimme raunzte: »Fassen Sie bloß in Owltown nichts an, Mr. Butler. Man weiß nie, wo es vorher gelegen hat.«
    Die weinende Frau drehte sich mit angstgeweiteten Augen zu dem Streifenwagen um, begann dann zu laufen und hatte bald auch den anderen Schuh vom Fuß verloren.
    Die Beifahrertür des Streifenwagens öffnete sich einladend, und Charles setzte sich neben Tom Jessop. Im Wagen roch es nach Aftershave und Zigaretten. Das Armaturenbrett war voll mit Zetteln, Umschlägen, bekritzelten Papierservietten und Streichholzbriefchen.
    »Guten Morgen«, sagte Charles.
    Der Sheriff erwiderte den Gruß, indem er dankend an seinen braunen Stetson tippte. »Wo wollen Sie hin, Mr. Butler?«
    »Ich hoffe, dass ich es noch zum Festplatz schaffe, ehe das Zelt fertig aufgebaut ist.« Sein Lebtag hatte sich Charles auf so eine Gelegenheit gefreut – hoffentlich hatte der Sheriff nicht vor, irgendwelche verwickelten Probleme mit ihm zu erörtern.
    »Ja, so was sieht man nicht alle Tage.« Der Sheriff legte den Gang ein und fuhr an. »Von der Flussschleife aus hat man einen wunderbaren Blick auf den unteren Bayou. Die Lauries haben das Gelände abgebrannt und dadurch dem Wurzelgeflecht im Boden den Garaus gemacht.«
    »Ökologisch bedenklich! Fördert das nicht die Erosion?«
    »Und ob!« Der Sheriff lächelte. »Eines schönen Tages steht Owltown komplett unter Wasser, das steht fest. Mag sein, dass wir noch ein Jahrhundert warten müssen, aber ich bin ein geduldiger Mensch.« Das merkte man auch daran, wie langsam der Wagen durch die Gegend rollte.
    »Demnach haben Sie nicht viel für Owltown übrig.«
    »Wenn Sie Lust haben, machen wir eine kleine Rundfahrt. Mal sehen, wie gut Ihnen das Nest gefällt.«
    Sie hielten an einer Kreuzung. Der Sheriff deutete auf eine Reihe grauer Schuppen, die sich an einer unbefestigten Straße entlangzogen. »In dieser Richtung kriegen Sie die deftigsten Peepshows zu sehen.« Er sah durchs Heckfenster. »Da hinten wird Ihnen ein Rundumservice geboten – Schnaps, Drogen und Frauen in einem Laden.« Der Wagen setzte sich langsam wieder in Bewegung. »Als ich Kind war, gab es hier nur Ed Lauries Kneipe und einen Haufen Eulen.«
    Noch

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