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Der steinerne Engel

Titel: Der steinerne Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol O'Connell
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es Rehe tun. Die braune Deputy-Uniform hob sich hell vor der schwarzen Haut ab. Als sie vor einem dunklen Baumstamm stehen blieb, verschmolz ihre Gestalt mit der Schwärze, die sie umgab, und einen beängstigenden Augenblick lang glaubte Fred, in der Uniform geistere ein Gespenst herum.
    Sein Herz schlug schneller und lauter, er hatte den Eindruck, dass man es an den Brustkorb trommeln hörte, als sie den Revolver aus dem Halfter zog und nach oben richtete. Sie sah nicht auf, zielte aber zweimal genau auf ihn, so dass ihm der Atem stockte. Danach stand sie sehr still und horchte wieder.
    Hatte sie seinen Herzschlag wahrgenommen?
    Unsinn … Andererseits: Man konnte nie wissen. Vorsichtshalber legte er eine Hand auf die Brust.
    Deputy Beaudare setzte sich in Trab, blieb noch einmal stehen, sah sich um und verschwand dann geschmeidig wie die Tiere, die er so selten traf, im Wald.

13
    Am Telefonmast vor Henry Roths Cottage machten sie Halt. Henry bedeutete ihm, dort zu warten. » Wir sehen uns später.« Dann ließ er Charles auf dem unbefestigten Weg stehen und ging davon.
    Später?
    »Schau nach oben, Charles!«, rief eine vertraute Stimme.
    Er ließ den Blick an dem hohen Mast hochwandern, der seitlich silberne Sprossen hatte. Ganz oben gingen von dem dicken Schaft hölzerne Querträger ab, die mit Kabeln und blinkenden Lichtern bestückt waren.
    In blindem Vertrauen darauf, dort oben Mallory zu finden, machte Charles sich daran, die silbernen Sprossen zu erklimmen. Als er sich dem Querträger näherte, erkannte er sie im Umriss. Sie machte sich an den Kabeln zu schaffen. Er bewältigte die letzte Sprosse und hielt sich mit einem Arm am Mast fest. Jetzt war er auf gleicher Höhe mit Mallory. Ihr Haar leuchtete im Dunkeln, der zunehmende Mond setzte Glanzlichter in ihre Locken, und zwischen den einzelnen Strähnen sah man die Sterne.
    Zur Begrüßung lächelte sie ihm nur kurz zu. Mallory machte nicht gern viele Worte, oder vielleicht begriff sie gar nicht, dass normale Menschen Worte brauchten. Sie fühlte sich seit jeher wohler in der Gesellschaft von Maschinen, die schweigsam und effizient waren und keine Widerworte gaben. Die Kollegen von der New Yorker Polizei hatten sie – nicht nur hinter ihrem Rücken – Mallory die Maschine genannt.
    »Hallo!« Er beging den Fehler, nach unten zu schauen, wo die Straße nur ein schmaler Strich und die Stadt eine Ansammlung von Spielzeughäuschen in der Ferne war. Er umklammerte den Mast fester und konzentrierte sich auf Mallorys Gesicht. »Wie ich sehe, arbeitest du nach wie vor ohne Netz.«
    Sie saß in der Lederschlinge, die den Namen einer örtlichen Telefongesellschaft trug, so entspannt wie auf einem Sessel.
    »Das Ding da hast du wohl geklaut.«
    Sie nickte bestätigend und nicht die Spur gekränkt und arbeitete weiter an ihren Kabeln herum. »Ich hab mal für die EDV-Abteilung der Firma im Norden gearbeitet.«
    Über das Gewirr der elektrischen Drähte hinweg streckte sie die Hand aus, nahm Charles die Krawatte ab und knöpfte die Weste auf, sodass sein weißes Hemd zum Vorschein kam. Mit Mallory hoch oben in den Sternen … Noch nie hatte er ein so romantisches Rendezvous mit ihr gehabt, und er fragte sich nur, womit sie ihm diese Freude verderben würde.
    Sie hielt ihm einen kleinen schwarzen Kasten vor die Brust, auf der sich jetzt ein Bildschirm abzeichnete. »Wie ich sehe, hast du das Problem der Auflösung bewältigt«, sagte er.
    »Ja, ich habe die Pixel in Analogwellen umgesetzt, aber das geht immer noch zu sehr auf Kosten der Batterien.«
    Demnach gehörte wohl zumindest einer der Drähte, die aus dem Minicomputer in ihre Blazertasche führten, zu der Batterie, die den Monitor speiste. Das Bild auf seinem Hemd veränderte sich, als sie sich über den Computer in ihrer Handfläche beugte und mit einem silbernen Zahnstocher auf der kleinen Tastatur herumtippte. Ihr Gesicht war in bläuliches Licht getaucht.
    Dass er sich jetzt – trotz seines heftigen Abscheus vor allem, was mit Hightech zu tun hatte – im Computerjargon verständigen konnte, gab ihm hin und wieder doch zu denken. Mit dem Prototyp, den sie in der Hand hielt, kannte er sich besonders gut aus. Vor einem Jahr hatte sie kaum ein anderes Gesprächsthema gehabt. Weil er ihre Stimme so liebte, hatte er sich das Fachchinesisch ihrer Erläuterungen angehört, als sei es reine Poesie. Es waren recht einseitige Gespräche gewesen, denn weil sie so selten mehr sagte als unbedingt nötig, hatte er es

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