Der steinerne Engel

Titel: Der steinerne Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol O'Connell

Vom Netzwerk:

zurückkommen. Ihr werdet im Licht des Glaubens leben, und alles Schöne im Leben wird euch gehören, das garantiere ich euch. Wenn ihr den wahren Glauben habt, wird euer Herzenswunsch erfüllt.«
    Das also war die Absicherung, die in Malcolms Garantie eingebaut war. Sollte das Wunder ausbleiben, fehlte es dem Bittsteller offenkundig an Hingabe und Glauben. Und dafür konnte ja schließlich Malcolm nichts. Für Kleingläubige gab es keine Rückvergütung.
    »Ich will, dass ihr tief in die Taschen greift und eure Scheine und Münzen herausholt. Das ist die Vorbedingung. Wenn ihr schwach im Glauben seid, verschwendet ihr hier nur eure Zeit. Klappt die Brieftaschen auf, legt euren Glauben auf die Kollektenteller zu Gottes Ehre. Wenn wir einander helfen, sind wir Teil des großen Stroms, und er strömt zu uns zurück. Es ist ein heiliger Kreis, den ihr nicht unterbrechen könnt. Er umschließt euch, solange ihr glaubt. Ihr müsst euren Glauben kundtun. Wenn ihr in die Nacht hinausgeht, dürft ihr nichts mehr besitzen außer eurem Glauben. Sagt Amen.«
    »Amen!«
    »Ihr Frauen!« Er stampfte mit dem Fuß auf. »Leert eure Geldbörsen. Sucht sorgfältig! Ich möchte nicht, dass ihr nach Hause kommt und noch einen Cent darin findet, denn dann zerfällt euer Glaube zu Staub, und der Kummer über diese vertane Chance wird euch ein Leben lang quälen.«
    Charles sah sich um. Die Drohung war ein geschickter Trick. In der dritten Reihe, zwei Plätze von ihm entfernt, griff eine bisher eher zurückhaltend wirkende Frau tiefer in ihre Handtasche. Und zu seiner Linken, einen Platz neben ihm in der zweiten Reihe, hatte sich eine andere Zuschauerin den Inhalt ihrer Handtasche auf den Schoß gekippt. Ihre Hände waren knotig verdickt. Sie war sehr jung für eine so fortgeschrittene Arthritis, für so viel Leid.
    Der Hunger, die Gier der Menge waren fast mit Händen zu greifen. Die Zuschauer waren aufgesprungen und stöhnten ob der sie in Babe Lauries Namen durchströmenden Kraft. Sie schrien ihr Amen heraus, und Charles spürte die Macht der allgemeinen Erregung wie einen Stromstoß.
    »Habt ihr den Glauben?«
    »Wir haben den Glauben«, kam es einstimmig von der Menge, die ein gemeinsames Verlangen hatte.
    Sie alle waren an Malcolm angeschlossen und versorgten ihn mit Licht und Energie – alle bis auf Charles, der isoliert von der animalisch röhrenden Menge allein mit seinen Ängsten war. Jeden Augenblick konnten die Zuschauer den Ungläubigen in ihrer Mitte entdecken.
    Und er wusste, zu welch zerstörerischem Handeln der Mob fähig war.
    Malcolm schien auf der Bühne zu wachsen, die Liebe, die ihm aus der Masse entgegenschlug, machte ihn zum Riesen. Umgekehrt ging von seinen ausgestreckten Fingerspitzen Kraft auf seine Zuschauer über. Sie nährten einander – Malcolm und seine Gläubigen.
    Ein inbrünstig Betender stieß Charles seinen Ellbogen an die Schläfe. Sein Kopf flog zur Seite, und jetzt sah er, dass in dem breiten Mittelgang Henry Roth stand und sich suchend in der ersten Reihe umsah. Charles erhob sich. Jetzt war er über den normal großen Zuschauern mühelos zu erkennen. Henry winkte ihm zu. Seine Hände bedeuteten ihm mitzukommen, und zwar sofort.
    Als sie den Parkplatz erreicht hatten, erloschen hinter ihnen im Zelt die Lichter. Charles blieb mitten auf der Fahrbahn stehen. Er konnte sich vorstellen, was jetzt in dem schwarzen Riesenrund geschehen mochte. Die Angst vor der Dunkelheit würde das Zusammengehörigkeitsgefühl der Zuschauer zunichte machen, es würde zu einer Panik kommen.
    Henry zupfte ihn am Ärmel. »Schnell, schnell«, drängte seine sprechende Hand.
    Sie begannen zu laufen. Charles warf noch einen raschen Blick über die Schulter, wo sich der Umriss des Zeltes vor dem Abendhimmel abzeichnete. Die Menge löste sich wieder in Einzelpersonen auf, die bestrebt waren, so schnell wie möglich dem Dunkel zu entrinnen. Wie Ameisen krabbelten sie aus dem Zelt. Die hohen Masten gaben an einer Seite nach, und der Zeltbau neigte sich gefährlich zur Seite. Dann flammte weißes Scheinwerferlicht auf, und eine Karawane von Wagen bewegte sich langsam vom Zelt weg in Richtung Highway.
    Als Charles und Henry den ersten Häuserblock von Owltown passiert hatten, gingen hinter ihnen die Lichter aus, und die Nacht senkte sich herab wie ein Vorhang. Im nächsten Block wiederholte sich das Gleiche.
    Und wer hatte dieses kleine Wunder vollbracht? Wenn ich raten soll, dachte Charles, würde ich auf Mallory tippen.
    Er