Der steinerne Engel
Kleine eher erwischst?«
Er ging rückwärts zu seinem Wagen und setzte sich ans Steuer. Als die Räder in einer großen Wasserlache durchdrehten, verpasste sie ihm einen Schuss in den Kofferraum.
Verdammtes Weib!
Im Rückspiegel sah er, wie sie nachlud, während seine Räder auf festerem Boden Halt fanden. Statt loszubrettern, wie jeder vernünftige Mann es getan hätte, fuhr er rückwärts, bis er auf einer Höhe mit ihr war, beugte sich aus dem Fenster und tippte grüßend an seinen Stetson.
»Bleib, wie du bist, Augusta!«
Er hörte ihr Lachen noch, als sie schon nicht mehr zu sehen war.
Charles erkannte das Gesicht auf dem neuen Grabstein, noch ehe er nah genug herangekommen war, um den eingemeißelten Text zu lesen. In einem billigen Holzrahmen, der an dem Stein befestigt war, steckte Babes Foto. Das Grab war auffallend klein, nur ein Loch im Boden für die Urne. Eine große Grabstelle war Babe nicht vergönnt.
»Wann ist die Urnenbeisetzung?«
»Er wird erst nach der großen Party Ende der Woche verbrannt«, sagte Henry und betrachtete die primitive Arbeit eines Kollegen. »Ganz schön armselig, was? Malcolm hat für die Totenwache einen Glassarg gemietet, das hat ihn ein Vermögen gekostet, aber auf dem Grabstein ist kaum was zu erkennen. Babe wäre außer sich. Er hat sich immer als den König der Welt gesehen.«
Charles nickte. Als elfjähriges Wunderkind in seinem zweiten Studienjahr in Harvard hatte er in einem Seminar für Verhaltensforschung einen Patienten im örtlichen Krankenhaus beobachtet. Der Alte hatte an fortgeschrittener Syphilis gelitten und mit Vorliebe gerufen: »Ich bin der König der Welt!« Sein Gang aber hatte nichts Königliches, er lief tapsig und ungeschickt und stolperte häufig.
Der Alte hatte verlangt, dass Charles sich, wenn er ihn anredete, vor ihm verbeugte und mit dem ihm zukommenden Titel anredete. Ein Arzt hatte ihm erläutert, dass es eine Hausregel war, den Launen der Geistesgestörten nicht nachzugeben, und der Junge hatte pflichtschuldigst dem König den Respekt verweigert und ihm später sogar erklärt, das sei zu seinem eigenen Besten.
Der Alte wollte das nicht hinnehmen, hatte einen Wutanfall bekommen und war in Krämpfe verfallen, woraufhin der Arzt den Jungen sanft aus dem Zimmer geschoben hatte. Der Patient war so erregt, dass man ihn in eine Zwangsjacke hatte stecken müssen.
Als Charles am nächsten Tag wiederkam – mit Blumen als Friedensgabe, bunte Blüten in allen Farben –, war das Zimmer leer. Der König der Welt war in der Nacht gestorben.
Arzt und Krankenschwester mussten eine Stunde auf den hysterischen Jungen einwirken, um ihn davon zu überzeugen, dass nicht er den Alten umgebracht hatte. Und weil man mit diesem frühreifen Kind wie mit einem Erwachsenen reden konnte, hatten sie ihm erklärt, durch welche Höllen der Alte in seiner Krankheit gegangen war, dass man die Schädigungen nicht mehr hatte rückgängig machen können, weil die Behandlung zu spät eingesetzt hatte, und dass der Tod für ihn eine Erlösung gewesen war. Die Wutanfälle und Krämpfe waren ganz typisch für die Dementia paralytica.
Charles hatte reagiert wie ein typischer Elfjähriger. Er hatte geweint, die Blumen hingeworfen und war weggerannt.
Jetzt hockte der erwachsene Charles vor dem Grabstein und betrachtete Babes Bild, aus dem ihn ein junger König der Welt ansah. Hätte er noch fünfzehn oder zwanzig Jahre gelebt, wäre ihm vielleicht das gleiche Schicksal beschieden gewesen wie dem Alten.
»Henry? Wer hat Ihrer Meinung nach Babe Laurie umgebracht?«
»Ich weiß es nicht. Spielt es eine Rolle?«
Charles wollte gerade antworten, als Henry warnend die Hand hob. Von der Brücke über den Upland Bayou kamen Stimmen; die von Betty Haie war die lauteste.
»Bleiben Sie bitte zusammen.« Betty trieb ihre zehnköpfige Herde über die Brücke. Prompt versuchte einer, auf einen Nebenweg abzuschwenken. »Nicht in diese Richtung, Mr. Porter! Da landen Sie nach einem Meter im Finger Bayou.«
Porter betrachtete fasziniert den verwitterten Holzpfeil, der in die Richtung von Cass Shelleys Haus wies. Vielleicht hielt er ihn für ein Verkehrsschild, denn es lockte ihn offensichtlich, ihm zu folgen, obgleich ein Schild an einem Baum in der Nähe Unbefugten ausdrücklich den Zutritt verbot.
»Ist der Bayou sehr tief, Mrs. Haie?«
»Das nicht, aber wenn man selbst versucht, wieder rauszukommen, kann man sich leicht was an der Bandscheibe holen. Kommen Sie bitte
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