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Der steinerne Engel

Titel: Der steinerne Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol O'Connell
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näher.« Betty deutete durch eine Lücke zwischen den Bäumen. »Aus diesem Haus kommen die Fledermäuse.« Eifrig wurden das Dach und das runde Fenster als Erinnerung an die vergangene Fledermausnacht geknipst.
    »Es ist über hundertfünfzig Jahre alt«, fuhr Betty fort, »und wurde von der Familie Trebec erbaut. Miss Augusta ist die Letzte ihrer Sippe. Wenn sie stirbt, geht das Haus in den Besitz des Staates Louisiana über.«
    »Sie hat es also dem Staat als historisches Bauwerk vermacht?«, erkundigte sich die Frau aus Arizona.
    »Nein, das hat ihr Vater in seinem Testament so verfügt. Er hat sein ganzes Geld in eine Stiftung gesteckt, Augusta bekommt nur ein Haushälterinnengehalt.«
    »Haushälterin? Dass ich nicht lache«, meinte eine ältere Frau, die das Haus durch einen Feldstecher betrachtete. »Das Dach ist ja durchlöchert wie ein Schweizer Käse.«
    »Das ganze Haus ist mehr als heruntergekommen«, bestätigte Betty. »Ein Jammer, wenn so ein Gebäude zerfällt. Für die Historische Gesellschaft unserer Stadt ist Augusta Trebec der Antichrist, bei jedem Fluch, den sie ausstoßen, fällt ihr Name.«
    Die Zuhörer lachten über den Witz, und Betty beschloss, ihn in den Text ihrer Führung aufzunehmen.
    »Das Haus hat eine interessante Geschichte, und ich …«
    »Wäre es denkbar, dass Cass Shelley noch am Leben ist?«, fiel Porter ihr ins Wort.
    »Unwahrscheinlich. Als Augusta die Herrin von Trebec House wurde, gab es einigermaßen dunkle …«
    »Gibt es Alligatoren im Bayou?«, fragte der unerschrockene Porter. »Vielleicht hat ein Alligator sie gefressen.«
    Betty lächelte nachsichtig, obwohl sie ihm am liebsten mit einer Socke den Mund gestopft hätte. »Ein Alligator kann tatsächlich einen ganzen Menschen verschlingen. Wenn er einen erwischt hat, zieht er ihn nach unten.« Genüsslich stellte sie sich Porter in dieser Situation vor. »Und wenn er gerade keinen Hunger hat, versteckt er seine Beute in einer Nische unter Wasser.« So oder so – Porter wäre in jedem Fall mausetot. »Und dann wartet er, bis die Leiche schön zart geworden ist.«
    Jetzt spitzten alle die Ohren. Blutrünstige Monster, einer wie der andere – aber ihre Kreditkarten waren nicht zu verachten. »Ein Alligator hat Cass Shelley nicht erwischt. Fred und Ray Laurie haben vor langer Zeit sämtlichen Alligatoren hier in der Gegend den Garaus gemacht. Der Finger Bayou fließt am Trebec House vorbei. Früher bin ich auf meiner Führung dort vorbeigegangen, aber seit dem Tod von Cass Shelley lässt Augusta keine Fremden mehr auf ihren Grund und Boden. Die Steinigung hat sie wohl gründlich verschreckt. Sie hat verboten, dass auf dem Bayou Herbizide gesprüht werden, und jetzt ist er von Wasserhyazinthen verstopft – das grüne Zeug da, das auf dem Wasser schwimmt –, kein Boot kommt mehr durch. Und das Gelände um das Haus herum ist sumpfig und voller Giftschlangen. Deshalb möchte ich nicht, dass sich jemand aus der Gruppe selbstständig macht. Wo war ich stehen geblieben, ehe die Rede auf die Alligatoren kam?«
    »Sie wollten von dem Haus erzählen«, half ihr ein Mann aus Maine auf die Sprünge.
    »Genau. Von der ursprünglichen Plantage ist nur das Haus mit ein paar Morgen Grund geblieben. Nach und nach haben die Trebecs das Land verkauft, und dort ist dann die Stadt entstanden.«
    »Das Haus ist heruntergekommen, sagen Sie.« Das war wieder der Mann aus Maine. »Ist Miss Trebec zu arm, um es instand zu halten?«
    »Augusta und arm?« Betty lachte. »Sie verdient jede Menge Geld mit Immobiliengeschäften. Die Zuckerrohrfelder am Highway gehören alle ihr. Die ersten vierzig Morgen hat sie von einer kleinen Erbschaft gekauft, die sie von ihrer Mutter hatte. Dann hat sie einem Chemiewerk, das angeblich Wasser auf ihrem Land verschmutzt hatte, einen Prozess angehängt. Das brachte ihr genug ein, um die nächste Firma zu verklagen. Im Lauf der Jahre hat sie die meisten Chemiefirmen am River Road verklagt und einigt sich immer außergerichtlich mit ihnen. Heute gehört Augusta fast die ganze St. Jude Parish, bis auf Dayborn und Owl town.«
    »Könnte man im Bayou eine Leiche deponieren?« Mord war ein Thema, das Mr. Porter offenbar sehr viel mehr interessierte. »Vielleicht mit Gewichten beschwert?«
    »Das glaube ich nicht«, erwiderte Betty. »Der Sheriff hat den ganzen Finger Bayou mit Schleppnetzen abgesucht, er hätte sie gefunden.«
    »Dass sie ihr Geld nicht für ein Haus ausgeben will, das ihr nicht gehört, kann ich

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