Der steinerne Engel
Gott! Ein Wunder!« Betty trat an den Engel heran und sah ihm in die Augen. »O mein Gott …«
»Sie weint«, sagte der Mann aus Maine. »Die Steinfigur weint.«
Zehn Kameras klickten gleichzeitig.
Augusta überlegte, ob der Kräutertrank, der verhindern sollte, dass die Wunde sich entzündete, Kathy in Schlaf versetzt oder ob sie von der schmerzhaften Reinigung der Wunde kurz das Bewusstsein verloren hatte. Wenn sie schlief, konnte das nur gut für sie sein.
Im ganzen Zimmer lagen durchweichte Handtücher und Gazebinden verstreut. Augusta sammelte das blutgetränkte Zeug ein und steckte es in einen Müllsack. Dann wusch sie sich die Hände, setzte sich ans Bett und nahm die Verbände ab.
Kathy schlief weiter, während Augusta ein neues Verbandspäckchen auf die Rückenwunde drückte, sie mit Klebstreifen befestigte und die Schlafende umdrehte, um die Wunde vorn zu säubern.
Plötzlich griff eine weiße Hand nach Augustas Arm und hielt ihn fest. Die Katze sprang auf das Fußende des Bettes und fauchte leise. Augusta besänftigte sie, und als sie sich wieder ihrer Patientin zuwandte, blickte sie in zwei zornige junge Augen.
»Was für ein Zeug haben Sie mir zum Schlafen gegeben?«
»Nur Sachen aus meinem Kräutergarten«, erwiderte Augusta. »Komm, lass mich weitermachen. Es ist ein großes Loch.« Sie beugte sich über die Wunde, ohne sich von dem erstaunlich festen Griff stören zu lassen, und nach einer Weile nahm Mallory ihre Hand weg. »Muss ein Hohlkörpergeschoss gewesen sein. Die Austrittswunde war günstig für die Drainage.«
Augustas Patientin besah sich den neuen Verband. »Irre ich mich, oder ist das …?«
Augusta nickte. »Spinnenfäden wirken antibakteriell. Ich habe Kräuter hineingewickelt, auf diese Weise werden die Heilkräfte schön langsam freigesetzt. Für einen guten Verband braucht man eine Menge Spinnweben, aber mein Haus ist die reinste Spinnwebfabrik.«
Augusta rollte einen langen Gazestreifen ab. »Du hast Glück gehabt, es ist nur eine Fleischwunde. Gelenk und Knochen sind unversehrt.« Sie wickelte den Gazestreifen so über die Schulter, dass er beide Wunden bedeckte. »Das ist ein Druckverband. Ich weiß, dass es wehtut, aber je größer der Druck, desto geringer die Blutung.«
»Wie lange muss ich liegen?«
»Nur kurz, jetzt wo die Blutung unter Kontrolle ist. Je eher du die Schulter wieder bewegst, desto besser, dann wird sie gar nicht erst steif. Aber übertreib es nicht, sonst fängt es wieder an zu bluten.«
»Warum helfen Sie mir?«
Augusta sah in die grünen Augen, die sich förmlich in sie hineinzubohren schienen. Ein merkwürdiges Kind.
»Wegen der Immobilie.« Augusta wickelte eine zweite Gazeschicht über die Wunden. »Ein Immobiliengeschäft lass ich mir nicht entgehen. Wenn du stirbst, ohne ein Testament zu hinterlassen, dürfte es schwer sein, dem Staat das Haus deiner Mutter zu entreißen – und allzu viele Jahre bleiben mir nicht mehr.«
Erst jetzt wagte sie es wieder, ihre Patientin anzusehen.
Die grünen Augen hatten sich misstrauisch verengt. Das nehm ich dir nicht ab, sagte Mallorys Blick. »Warum haben Sie das Haus nicht zur Begleichung der Steuerschuld verkauft?«
»Um bei einer Auktion den Höchstpreis zu blechen?« Sie legte eine Hand aufs Herz. Ich bin schließlich nicht blöd, sollte das heißen. »Ich habe versucht, deinem Großvater das Haus zu einem fairen Preis abzukaufen, aber er hat es nicht hergegeben. Als nach seinem Tod deine Mutter wieder nach Dayborn zog, wollte sie es auch nicht veräußern. Aber jetzt habe ich ja dich. Mein Angebot dürfte dir gefallen, Kathy.«
»Nennen Sie mich Mallory.« Das war keine Bitte, sondern ein Befehl.
»Meinetwegen. Deine Mutter hat nie verraten, wer dein Vater war. Hast du jetzt vielleicht seinen Namen angenommen?«
Die junge Frau sah sie unbewegt an.
Schweigen konnte man so und so auslegen. Vielleicht wusste Kathy tatsächlich, wer ihr Vater war, und vielleicht wusste sie auch, wie man Geheimnisse wahrt.
Augusta deutete in die Ecke. »Da ist dein Gepäck.« Sie hatte die Sachen aus dem Wald geholt und war knapp zehn Minuten, bevor Tom Jessop mit dem Streifenwagen in ihrem Garten aufgetaucht war, ins Haus zurückgekommen.
»Und mein Hund?«
»Den hab ich in einer sumpfigen Stelle ganz oben am Finger Bayou versenkt. Fred Laurie auch. Ewig werden die beiden nicht da unten bleiben, aber darüber brauchen wir uns jetzt noch keine Gedanken zu machen. Hoffentlich stört es dich nicht, dass der
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