Der steinerne Engel
nie einen Blick an Riker – und setzte sich neben ihren Sohn.
»Wenn meine Stellvertreterin zurückkommt, soll sie dich zum Flughafen bringen, Sally.« Der Sheriff deutete auf die offen stehende Tür zu seinem Büro. »Kommen Sie herein, Sergeant Riker. Oder soll ich Sie Detective nennen?«
»Riker reicht.« Er machte es sich in dem Sessel gegenüber vom Sheriff bequem und staunte über das Chaos auf dem Schreibtisch. Weil er geübt darin war, Texte verkehrt herum zu lesen, erkannte er unter anderem auch den Papierkram, der die hübsche rothaarige Frau und ihren Sohn betraf. Offenbar hatten die Jungs in Georgia es nicht allzu eilig gehabt, den Auslieferungsantrag zu bearbeiten.
Der Sheriff zündete sich eine Zigarette an und förderte unter einem Papierstapel einen gewaltigen Aschenbecher zutage. Riker grinste und holte ebenfalls seine Zigaretten heraus. Die kleine Stadt gefiel ihm bis jetzt nicht übel. Nach zwei Tagen in einem Nichtraucherzug hatte er vor seinem Besuch beim Sheriff eine kurze Pause in Jane’s Café gemacht. Am liebsten hätte er den Boden geküsst, als er sah, dass auf jedem Tisch ein Aschenbecher stand.
»Wie man hört, seid ihr in New York nicht mehr die Nummer eins in Sachen Mord und Totschlag.«
»Irrtum. Die Sache ist einfach die, dass man in unseren fünfzig Staaten keinen anderen Polizeipräsidenten findet, der so gut lügen kann.« Riker stieß eine Rauchwolke aus und fühlte sich trotz der altmodischen Möblierung in Sheriff Jessops Büro wie zu Hause.
»Mag sein.« Der Sheriff schnippte ein Streichholz durch die Luft, das den Aschenbecher verfehlte, legte die Füße auf den Schreibtisch und warf dabei ein paar Aktenstapel herunter. Die Unordnung war unbeschreiblich. Riker registrierte hocherfreut, dass er einem Bruder im Geiste gegenübersaß. »Aber im Tötungsgeschäft scheint Miami stark im Kommen zu sein.«
»Ja, Miami ist eine echte Konkurrenz. Die haben doch tatsächlich behauptet, dass sie mehr Touristen umbringen als wir, aber das ist eine unverschämte Lüge.«
»Wenn man den Zeitungen glauben darf, habt ihr in New York tatkräftig dabei mitgewirkt, die landesweite Verbrechensrate zu halbieren.«
»Üble Nachrede«, erklärte Riker. »Unser oberster Chef hat die Polizei dezentralisiert und der Bürgermeister seinen Pressemann gefeuert, deshalb sind die Reporter mit der Statistik nicht klargekommen.« Riker hängte ein Bein über die Sessellehne und ließ Asche auf sein Hosenbein fallen. »Alles eine Sache der Politik. New York hat die besten Politiker, die man mit schmutzigem Geld kaufen kann.«
»Pech gehabt, Riker. Das ist das Motto unseres Staates. Aber nichts für ungut – Angeber stehen bei uns hoch im Kurs.«
Riker überlegte, warum der Sheriff nicht wissen wollte, was er in Dayborn zu suchen hatte. Vielleicht gingen in so einem Kaff einfach die Uhren anders.
»Wir haben einen Freund von Ihnen zu Besuch bei uns«, sagte der Sheriff. »Einen gewissen Charles Butler.«
Damit war einiges klar. Wie viel Schaden hatte Charles inzwischen wohl schon angerichtet? »Einen Freund von mir? Behauptet der Typ, dass er mich kennt?«
»Er ist auch aus New York City.«
»New York ist eine kleine Stadt, Sheriff, nur acht Millionen Einwohner. Trotzdem kommt’s vor, dass man den einen oder anderen nicht beim Vornamen kennt.«
»Wie steht’s mit dem Mann, dem das da gehörte?« Der Sheriff zog eine Taschenuhr aus der Hemdtasche. »Louis Markowitz … kommt Ihnen der Name bekannt vor?«
»Nie gehört«, sagte Riker, entschlossen eine dreißigjährige Freundschaft leugnend und den Blick von dem goldenen Gegenstand abwendend, der an der Kette in der Hand des Sheriffs baumelte. Dass Mallory es aus falscher Sentimentalität versäumt hatte, sich auch von der Uhr zu trennen, als sie ihre Identität ablegte, war ein Fehler, und das würde sie von ihm auch noch zu hören bekommen.
»Wenn Sie glauben, dass dieser Markowitz aus New York ist, lass ich den Namen gern bei uns durchlaufen, mal sehen, was dabei herauskommt.« Der Name Markowitz war in New York häufiger als in Israel; bestimmt fand sich darunter auch einer, der nicht mit dem früheren Leiter der Abteilung für Sonderverbrechen identisch war.
»Das wär nett, Riker. Aber Sie kommen wegen der Gefangenen, oder?«
»Ich bin gekommen, weil Sie dem FBI die Seriennummer eines Smith-&-Wesson-Revolvers geschickt haben. Die New Yorker Polizei ist fündig geworden. Die Waffe war bei einem Mord vor fünfzehn Jahren im
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