Der steinerne Engel
den Po verhauen. Obgleich ich mir schon damals gedacht habe, dass du es eigentlich verdient hättest.«
Jetzt endlich hatte Augusta ihr ein Lächeln abgerungen, das viel zu schnell wieder verblasste. Zumindest sah man daran, dass Cass Shelleys Tochter noch menschliche Züge besaß – das war viel versprechend.
15
Das Vorzimmer des Sheriffs war nicht besetzt, als Detective Sergeant Riker es betrat. Im Nebenraum hörte man eine tiefe Männerstimme. Riker sah kurz hinein, konnte aber nur eine hübsche Frau mit langem roten Haar in einem sehr figurbetonten Kleid entdecken.
Er nahm auf einer hölzernen Bank mit geschwungener Lehne, die ihn an eine Kirchenbank erinnerte, Platz. Hinter einer Tür gegenüber rauschte eine Toilettenspülung; die Tür ging auf, und ein sechs- oder siebenjähriger Junge erschien und steckte sich das T-Shirt in die Jeans. Er hatte das rote Haar der hübschen Frau, aber keine großen blauen, sondern kleine braune, neugierige Augen.
»Bist du ein Penner?«
»Nein, ich bin ein Cop.«
Der Junge verzog ungläubig den Mund, und das vorgeschobene Kinn signalisierte: Du schwindelst ja.
Riker besah sich seinen Schlips, auf dem er Erinnerungen vieler Mahlzeiten mit sich herumtrug. Der alte graue Anzug war nach der Zugfahrt total zerknittert, die abgewetzten Schuhe waren seit der letzten Beerdigung, zu der er hatte gehen müssen, nicht mehr geputzt worden. Der Junge schnupperte. Wahrscheinlich roch er das Bier, das Riker sich zum Essen geleistet hatte. »Ich bin Geheimagent«, log er.
»Cool!« Der Junge setzte sich neben ihn und besah sich voller Interesse den Zweitagebart und den schäbig-schmuddeligen Aufzug. »Echt gut, die Tarnung.«
»Vielen Dank, du Knirps. Und was hast du hier zu suchen? Du hast doch hoffentlich keinen umgebracht?«
»Nee, das nicht«, meinte der Junge bedauernd, dann beugte er sich grinsend vor und sagte verschwörerisch: »Aber vielleicht meine Mom.«
»Echt?«, fragte Riker beeindruckt.
»Die Polizisten in Georgia haben sie abgefangen und uns beide dann in ein Flugzeug nach Louisiana gesetzt. Sheriff Jessop versucht grade, ihr ein Geständnis zu entlocken.«
Riker und der Junge spitzten die Ohren.
»Glaubst du, dass Fred was damit zu tun haben könnte?«
Nach einem scharfen Verhör klang das nicht. Im gleichen Ton hätte der Sheriff sie fragen können, wo sie das knallenge Kleid her hatte. Was die Frau entgegnete, war nicht zu verstehen, obgleich die beiden Lauscher einträchtig die Hälse reckten.
»Verschwörungstheorien ziehen bei mir nicht, Sally«, sagte der Sheriff. »Babe war kein Jack Kennedy und sein Tod kein welterschütterndes Ereignis.«
Die Frau redete längere Zeit leise und erregt auf ihn ein. Einzelne Worte blieben unverständlich, aber in ihrer Stimme schwang deutliche Empörung mit.
Riker beugte sich zu dem Jungen hinüber. »Wer ist Babe?«, flüsterte er.
»Mein Vater«, antwortete der Junge fröhlich. »Dem Mistkerl tut kein Zahn mehr weh.«
Riker war sprachlos. Nicht mal New Yorker Kinder nahmen das Ableben eines Elternteils so gelassen hin. »Du bist mit deinem Vater demnach nicht besonders gut ausgekommen.«
»Der Typ hat mich angekotzt, und meine Mutter hat ihn gehasst wie die Pest.«
Als Riker aufsah, stand ein Mann in seinem Alter mit einem goldenen Stern an der dunklen Leinenjacke unter der Tür, der offenbar seinerseits ihre Unterhaltung interessiert belauscht hatte.
Der Junge folgte Rikers Blick. »Buchten Sie meine Mutter jetzt ein, Sheriff Jessop?«
Riker hatte fast den Verdacht, dass das für den Jungen eine gute Nachricht gewesen wäre.
»Nein, Bobby. Ihr könnt euch völlig frei bewegen. Wer ist dein neuer Freund?«
»Mein Name ist Riker.« Der Sergeant stand auf und streckte ihm die Hand entgegen. »Ich bin Polizist und …«
»Und bei der New Yorker Polizei.« Der Sheriff packte die ausgestreckte Hand und drückte sie fest.
Riker öffnete die Brieftasche und zeigte ihm Dienstmarke und Ausweis. »Wie kommen Sie denn darauf?« Dabei wusste er natürlich, dass sein Brooklyn-Tonfall nicht zu überhören war.
»Schuss ins Blaue.« Der Sheriff hielt den Dienstausweis auf Armeslänge von sich weg und studierte ihn ausgiebig. »Wenn wir noch mehr Zuzug aus New York kriegen, muss Betty in ihrem Hotel anbauen.«
Die Mutter des Jungen kam aus dem Nebenzimmer, und Riker hätte am liebsten einen anerkennenden Pfiff ausgestoßen, als sie an ihm vorbeiging. Sie würdigte ihn keines Blickes – hübsche Frauen verschwendeten
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