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Der steinerne Kreis

Der steinerne Kreis

Titel: Der steinerne Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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legte den Kopf auf das Leder zurück und fügte sich: Es gab kein Zurück mehr. Mit geschlossenen Augen lag sie da, während Hände ihre Schultern betasteten, und merkte zu ihrer Überraschung, dass sie betete. Dass sie innigst herbeisehnte, es möge wirklich geschehen. Dass die Magie der Tsewenen sich über ihre Skepsis hinwegsetzte und sie rettete …
    Das Trommeln wurde lauter, und im Gegenzug hoben sich auch die brummenden Stimmen, die aus geschlossenen Mündern drangen und einen eindringlichen Rhythmus erzeugten. Wider Willen öffnete Diane die Augen. Ihr Körper war mit kaltem Schweiß bedeckt. Die Männer, undeutliche Schattengestalten im dichten Rauch, gingen bei jedem Trommelschlag in die Knie und bewegten sich jetzt seitwärts im Kreis. Auf den Fersen und mit gesenktem Blick saßen die Frauen rund um Diane. Sie beugten sich vor und richteten sich auf, beugten sich erneut vor, die Hände lagen geöffnet auf den Knien. Diane bemerkte die besonderen Ohrgehänge der Frauen: Sie zeichneten die Silhouetten von Zugvögeln.
    Von einem Augenblick zum anderen veränderte sich die Zeremonie: Die Frauen zogen Flöten aus dem Ärmel hervor und fingen einstimmig zu blasen an, und die Töne, die sie hervorbrachten, waren so spitz und schrill und eindringlich, dass sie mehr Lärm erzeugten als die Trommeln. Im Sitzen begannen sich die Flötenspielerinnen zu krümmen und im Kreis zu drehen – drei Kreisel aus Tönen, Seide und Feuer. Ihre Lippen schienen mit dem unseligen Rohr verschraubt, und ihre geblähten Wangen ähnelten Weihrauchfässchen, die heiligen Rauch verströmten.
    Und dann trat aus dem Lärm und den Rauchschwaden eine Frau heraus – die Schamanin.
    Eine mit Adlerfedern und Fransen bestückte Haube überwölbte ihr Gesicht, und ihre winzige Gestalt verschwand beinahe unter einem Mantel, an dem schwere Metallteile hingen.
    Einwärts gekrümmt kam sie mit kleinen, rhythmischen Schritten näher. In der Hand hielt sie einen sonderbaren Gegenstand, eine Art Beutel oder Feldflasche aus Fell. Wie erstarrt sah Diane sie auf sich zukommen. Über Trommelwirbel und Flötentriller erhob sich nun ein markerschütterndes Schreien, und erst nach Sekunden begriff Diane, dass es eine Stimme war, die schrie. Sie dachte erst, dass es die Hexe sei, die unter ihren Fransen hervorkreischte, doch dann erkannte sie: Nicht die Schamanin erzeugte diesen schrecklichen Ton, sondern der Fellbeutel in ihren Händen.
    Das Ding war lebendig.
    Es war ein langhaariges Nagetier, das sich unter dem harten Griff der Alten vor Todesangst wand. Diane drückte sich in die Ecke des Zelts, während die Ereignisse ringsum wie einzelne Bilder auf sie einstürmten – die sich wie rasend vor und zurück wiegenden Männer, die um ihre Flöten gekrümmten Frauen, stehend mit erhobenen Armen die Zauberin, von deren Kopf die Federn und Fransen abstanden wie bei einem Vogel, während sie das kreischende Nagetier schwenkte.
    Diane wollte nur fliehen aus diesem Alptraum, vergessen, was … Ungestüm wurden ihre Schultern auf die Matte gepresst. Die Flötenspielerinnen hatten ihre Instrumente beiseite gelegt, um sie festzuhalten. Diane wollte schreien, doch ein Rauchschwall wurde ihr in den Mund geblasen.
    Die Schamanin stand jetzt dicht vor ihr. Das Tier in ihren Händen kreischte weiter und schlug mit spitzen, gewalttätigen Krallen um sich. Dieses Ungetüm hielt die Alte nun an die Brandwunde. Diane blickte hinunter auf ihren talkbestreuten Bauch und sah, dass die Haut unter dem weißen Pulver geschwollen und gebläht war und hier und dort unter dem gnadenlosen Druck der inneren Verwesung bereits aufklaffte. In einem letzten Aufbäumen wollte sie fliehen, doch sie lag da wie gelähmt.
    Die Schamanin hielt jetzt das Tier an die Wunde und drückte den pelzigen Körper auf das eitrige Fleisch. Im selben Moment zog ein scharlachroter Schleier über die Augen des kleinen Nagers – ein blutiger Film. Erbittert, hartnäckig, mit zwanghaftem Eifer fuhr die Schamanin mit der Pelzkugel immer wieder über die Wunde, hin und her.
    Offenbar bestand der Sinn dieses obskuren Vorgehens darin, die Spuren der Verstrahlung mithilfe des Nagers zu tilgen: Die Schamanin benutzte das Tier wie einen lebendigen Schwamm, einen heilenden Magneten, der die Brandmale auslöschen und den Tod aufsaugen sollte.
    Auf einmal fing das Tier zu knistern an, Funken sprühten aus seinem Pelz, und Diane traute ihren Augen nicht: Von der Berührung mit der Brandwunde fing das Pelztier selbst

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