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Der steinerne Kreis

Der steinerne Kreis

Titel: Der steinerne Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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unter dem Fahrgestell des Lastwagens, neben Lucien, kauerte und in ein Funkgerät brüllte: »Okay. Wir haben eine Gehirnprellung, wahrscheinlich bilateral. Ja. Ich brauche dringend einen Kinderarzt. Absolut dringend! Haben Sie das notiert?«
    Diane biss die Zähne zusammen. Die Worte gruben sich in ihren Körper ein. Der Notarzt kroch unter dem Wagen hervor. Unter seinem Parka trug er einen weißen Kittel.
    »Ohne Bewusstsein, ja … Glasgow-Komaskala …« Mit blitzartiger Geschwindigkeit beugte er sich nieder und öffnete die Augen des Kindes, betastete die Halsschlagader, fühlte den Puls: »… eins.« Noch einmal öffnete er die Augen des Jungen. »Ich bestätige: Glasgow-Komaskala eins. Ist der Kinderarzt unterwegs?«
    Nach einem raschen Blick auf Luciens rechten Arm fügte er hinzu: »Außerdem eine offene Fraktur des rechten Ellenbogens.« Er schob die blutigen Haare beiseite. »Eine Wunde an der Kopfhaut, nicht schwer. Weitere Meldung über die Lage in zehn Minuten.«
    Neben ihm riss ein Sanitäter den Klettverschluss eines Rucksacks auf, während ein anderer gefaltete Decken zwischen das Kind und die verbogenen Bleche schob. Zum Schutz vor dem Regen breiteten Feuerwehrleute Plastikplanen darüber. Von Diane nahm keiner Notiz.
    Der Arzt massierte nun Luciens Unterkiefer, während er behutsam seinen Hals entblößte. Ein Sanitäter schob ihm eine Halskrause unter den Nacken, die der Arzt mit einer raschen Geste verschloss.
    »Okay. Wir intubieren.«
    In der Hand hatte er auf einmal einen durchsichtigen Schlauch, den er in den halb geöffneten Mund schob. Der zweite Sanitäter legte bereits einen Katheter in Luciens linkes Handgelenk. Die Männer arbeiteten mit routinierten, beinahe reflexartigen Gesten, diktiert von der Dringlichkeit der Situation und ihrer Erfahrung.
     
    »Was tun Sie denn hier?«
    Diane schaute auf. Der Arzt ließ ihr keine Zeit, etwas zu sagen – als hätte er die Antwort, trotz des Regens, schon in ihrem Blick gelesen, in der hilflosen Verzweiflung ihrer Augen.
    »Wie alt ist er?«, fragte er.
    Sie stammelte erst einen unverständlichen Satz, dann wiederholte sie, lauter und artikulierter, um das Trommeln des Regens auf der Plane zu übertönen: »Sechs oder sieben.«
    »Sechs oder sieben?«, brüllte der Arzt. »Soll das ein Witz sein?«
    »Er ist ein Adoptivkind. Er … er ist erst seit kurzem bei mir. Seit ein paar Wochen.«
    Der Arzt setzte zu einer Entgegnung an, doch dann überlegte er es sich anders. Er knöpfte Luciens Jacke auf, hob seinen Pullover hoch. Der Anblick traf Diane wie ein Faustschlag in den Magen: Der Oberkörper war schwarz. Sie brauchte etliche Sekunden, bis sie begriff, dass es kein Blut war, sondern Öl. Mit einer Kompresse säuberte der Arzt die Haut des Brustkorbs. Ohne aufzuschauen, fragte er: »Gibt es eine Vorgeschichte?«
    »Was meinen Sie?«
    Der Arzt legte Elektroden an der nackten Brust des Jungen an. »Krankheiten? Irgendwelche gesundheitlichen Probleme?«, knurrte er.
    »Soweit ich weiß, nein.«
    Er schloss Kabel an die Elektroden an.
    »Haben Sie ihn gegen Tetanus impfen lassen?«
    »Ja, vor zwei Wochen.«
    Er reichte die Kabel dem zweiten Sanitäter, der sie sofort in die Rückseite eines schwarz bespannten Apparates einsteckte. Der Arzt hatte unterdessen eine Manschette um den Oberarm des Jungen gelegt, um den Blutdruck zu messen. Ein Piepen ertönte. Der Arzt reichte dem Sanitäter zwei weitere Kabel, die dieser mit einem anderen Apparat verband.
    In dem Augenblick tauchte ein Feuerwehrmann auf, der riesige Stoffhandschuhe und einen gepolsterten Parka trug. Hinter ihm schob sich ein Lastwagen im Rückwärtsgang langsam näher. »RETTUNGSDIENST« stand an der Seitenwand. Andere Gestalten kamen, in den Händen barbarische Geräte, die mit pneumatischen Schläuchen verbunden waren, schoben hydraulische Winden und Spreizer auf Karren herbei, während sich andere in feuerfesten Overalls im Halbkreis aufstellten, Feuerlöscher und Schläuche in der Hand – die Vorbereitung zu einem regulären Angriff.
    »Kann’s losgehen?«
    Der Arzt, dem der Schweiß auf der Stirn stand, gab keine Antwort. Das reißende Geräusch weiterer Klettverschlüsse war zu hören. Ein Sanitäter hielt einen Bildschirm in der Hand, auf dem nun grüne Linien und Zahlen aufleuchteten. Sie bewegten sich – und für Diane war es wie ein Wunder: Auf diesem Monitor oszillierte die Sprache des Lebens.
    Luciens Leben.
    Der Feuerwehrmann brüllte: »Scheiße, Mann, können wir jetzt

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