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Der steinerne Kreis

Der steinerne Kreis

Titel: Der steinerne Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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oder andere Weise war der Kerl beeinflusst worden. Sie dachte an Hypnose. Sie wusste nicht, ob eine Manipulation von solchem Ausmaß überhaupt möglich war, aber falls ja, musste irgendein Signal das programmierte Verhalten ausgelöst haben.
    »Hast du Radio gehört?«
    »Nein.«
    »Hast du einen Walkman?«
    »Nein!«
    »Ist dir am Straßenrand irgendwas aufgefallen?«
    »Aber nein!«
    Diane rückte ein Stück ab. Zurücktreten, um mit frischer Kraft neu anzusetzen.
    »Hast du den Bullen davon erzählt?«
    »Nein. Ich bin mir ja überhaupt nicht sicher. Wieso hätte das jemand mit mir machen sollen? Wozu soviel Aufwand?«
    Vulovic sagte nicht alles. Irgendwo tief in seinem Inneren saß ein Knoten der Angst. Schließlich murmelte er: »Wenn ich’s mir überlege, dann fällt mir nur eines ein.«
    »Was?«
    »Grün.«
    »Grüne Farbe?«
    »Olivgrün. Wie … wie die Militärfarbe.«
    Diane dachte nach. Sie wusste noch nicht, was sie mit diesem Hinweis anfangen sollte, doch sie hatte das unabweisliche Gefühl, dass sich hier der erste Ansatz einer Wahrheit abzeichnete.
    Der Mann fing überraschend zu schluchzen an, die Fäuste an die Schläfen gepresst. »Mein Gott … der kleine Junge, ich muss dauernd an ihn denken … Verzeihen Sie mir. Scheiße, Mann, es tut mir leid!«
    Reglos antwortete Diane: »Ich habe dir nichts zu verzeihen.«
    »Ich bin serbisch-orthodox«, fuhr er fort. »Ich bete zum heiligen Sawa für ihn, ich …«
    »Noch einmal: Ich habe dir nichts zu verzeihen. Du kannst wahrscheinlich nichts dafür.«
    Der Fahrer sah auf. Tränenblind. »Was?«, stammelte er. »Was ist?«
    »Das weiß ich nicht«, murmelte Diane. »Noch nicht.«
     

 
     
KAPITEL 20
     
    Mitten am Vormittag hatte der Parkplatz an der Avenue de la Porte-d’Auteuil nichts Besonderes zu bieten. Die Gebäude des Roland-Garros-Stadions sahen aus wie die Umfassungsmauer rund um eine verbotene Stadt, und aus der Tiefe, jenseits des Geländers, dröhnte der Verkehr des von hier aus unsichtbaren Boulevard Périphérique herauf. Dennoch konnte sich Diane, als sie am späten Vormittag mit ihrem Wagen hier stehen blieb, mühelos die zwielichtige Atmosphäre vorstellen, die nach Einbruch der Dunkelheit hier herrschte – nackte Haut im Scheinwerferlicht, die Autos im Kriechgang, die Führerhäuschen der abseits geparkten Lastwagen, die entfesselten Instinkte hinter dunklen Scheiben. Sie schauderte. Es schien ihr, als könnte sie diese nächtlichen Triebe spüren, könnte sie förmlich sehen, wie sie über den Asphalt glitten und sich ineinander verschlangen wie bucklige, bedrohliche Tiere …
    Sie nahm ihre Armbanduhr ab, befestigte sie am Steuer, stellte die Funktion »Chronometer« ein und fuhr wieder los. Sie folgte der Zufahrtsstraße in umgekehrter Richtung und bog nach rechts ab, vorbei am Garten der Dichter und den Gewächshäusern von Auteuil, bis sie an der Porte Molitor war. Sie fuhr mit mäßiger Geschwindigkeit: dem Tempo eines Lastzugs mit Anhänger nachts auf regennasser Straße. An der Autobahnzufahrt bog sie auf den Boulevard Périphérique ein und folgte dem Wegweiser nach Norden, zur Porte Maillot und zur Autobahn nach Rouen.
    Zwei Minuten und zwanzig Sekunden waren vergangen.
    Diane blieb auf der rechten Spur und beschleunigte. Zum Glück lief der Verkehr reibungslos – so reibungslos wie in jener fatalen Nacht. Neunzig Stundenkilometer. Ihre Hände krampften sich um das Steuer. Zum ersten Mal fuhr sie wieder auf der Ringautobahn. Sie bezwang die Angst, die ihr die Kehle zuschnürte.
    Porte de Passy. Drei Minuten, zehn Sekunden. Sie trat aufs Gas. Hundert Stundenkilometer. Schneller konnte Marc Vulovic mit seinem Lkw nicht gefahren sein. Vier Minuten zwanzig. Sie fuhr in den Tunnel unter der Porte de la Muette.
    Sie erinnerte sich an die Katarakte aus Lichtern, an ihre champagnerumnebelten Gedanken.
    Der Tunnel war zu Ende, das Tageslicht hatte sie wieder.
    Siebenhundert Meter weiter fuhr sie in den nächsten Tunnel ein.
    Fünf Minuten, zehn Sekunden.
    Als Diane den letzten Tunnel vor der Porte Dauphine auftauchen sah, wusste sie, dass sie im Begriff war, in eine andere Wirklichkeit einzutauchen. Und dass ihre eigene Schuld ihr vielleicht ein Geheimnis mitzuteilen hatte.
    Hundert Meter vor der betonierten Tunneleinfahrt schloss sie die Augen und schwenkte brutal auf die äußerste linke Spur. Hinter sich hörte sie quietschende Reifen und empörtes Hupen. In letzter Sekunde riss sie die Augen wieder auf und bremste entlang

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