Der steinerne Kreis
duzen: »Sonst nimmst du nichts?«
Der Fahrer runzelte die Stirn und schwieg.
»Amphetamine, Koks, Heroin?«, beharrte Diane.
Er warf einen schrägen Blick in ihre Richtung. Zwei eiserne Kugeln, glänzend wie Gewehrmunition, unter hängenden Lidern. Sein rechter Mundwinkel verzog sich zu einem schiefen, trägen Lächeln. »Verstehe«, sagte er. »Sie wollen mir Ärger machen. Gekündigt hat man mir schon. Den Lappen bin ich auch los. Vielleicht komm ich in den Knast, aber Ihnen reicht das noch nicht. Sie wollen mich sofort hinter Gittern sehen. Auf Jahre.«
Diane unterbrach ihn mit einer Geste. »Ich will die Wahrheit wissen, weiter nichts.«
Vulovic fing an zu schreien. »Die Wahrheit steht schwarz auf weiß im Bericht der Bullen!«, brüllte er. »Was glauben Sie denn – die haben mich doch getestet, auf Alkohol und auf Drogen! Ich war clean, Mann! Ich schwöre, dass ich clean war, als der Unfall passiert ist!«
Er sagte die Wahrheit. Sie wusste über die Untersuchungsergebnisse Bescheid.
»Ist ja schon gut«, sagte sie in weniger herablassendem Ton. »Was war dann der Grund, wieso du am Steuer eingeschlafen bist?«
»Ich weiß nicht. Ich erinnere mich an nichts.«
Diane richtete sich auf. »Was soll das heißen?«, fragte sie angespannt.
Der Mann zögerte. Jetzt standen ihm dicke Schweißperlen auf der Stirn, als er murmelte: »Ich schwör’s. Ich hab mir doch selber schon x-mal den Kopf zerbrochen – ab der Porte d’Auteuil weiß ich nichts mehr … Ich weiß nicht mal mehr, ob was gelaufen ist mit dem Mädel oder nicht. Anscheinend war ich total fertig. Ich weiß nicht, ich hab überhaupt keine Erinnerung mehr – bis es gekracht hat …«
Diane sah eine schreckliche Wahrheit heraufdämmern, die sie geargwöhnt und wieder verworfen hatte und die jetzt vor ihren Augen Gestalt annahm. »Hat jemand deinen Kaffee angerührt?«, fragte sie.
»Sie spinnen wohl! Wieso das denn?«
»Hast du auf dem Parkplatz mit jemandem geredet?«
Er schüttelte den Kopf. An seiner Kapuze zeichneten sich Schweißflecken ab. »Hören Sie, das führt doch zu nichts. Ich erinnere mich nicht. Scheiße. Es war ein Unfall! Es hat keinen Sinn, noch weiter da herumzubohren – obwohl ich’s selber komisch finde.«
Diane rückte ihren Stuhl näher an den Tisch. Trotz ihrer nassen Haare und der Feuchtigkeit im Nacken brannte ihre Haut. »Verstehst du wirklich nicht, wie wichtig das für mich ist? Versuch dich zu erinnern!«
Vulovic zog die Schublade des Küchentischs auf und nahm die Zutaten für einen Joint heraus: Tabak, OCB-Papier, ein Stückchen Shit in Alufolie. Während er zwei Blättchen herauszupfte, erklärte er: »Dort ist die Tür.«
Mit dem Handrücken fegte Diane den Tisch leer. Der Mann sprang erstaunlich schnell auf und ballte die Fäuste. »Pass bloß auf, Weib!«, schrie er.
Diane packte ihn und rammte ihn gegen die Wand. Sie war größer als er. Und tausendmal gefährlicher. Innerlich lächelte sie. Im Grunde war es ihr so lieber. Es war ihr lieber, dass der Kerl fähig war, sie zu ohrfeigen, zu verdreschen. Es war ihr lieber, dass sie sich als Mörder ihres Kindes einen Dreckskerl ausgesucht hatten.
»Hör mir gut zu«, zischte sie. »Neun Tage lang ist das Gehirn meines Sohns immer wieder angeschwollen und wäre beinahe an seinem eigenen Blut erstickt. Neun Tage lang habe ich bei ihm gesessen in seinem Todeskampf. Heute weiß man noch immer nicht, in welchem Zustand er wieder aufwachen wird. Vielleicht ist er normal. Vielleicht langsamer als die anderen. Oder vielleicht ist er schwer geschädigt und vegetiert nur noch. Überleg dir mal, was für ein Leben uns erwartet, ihn und mich.«
Der Fahrer senkte den Kopf, seine Fäuste sanken herab. Sie ließ ihn los, und er sank auf seinem Schemel zusammen. Auch sie setzte sich wieder, und in ruhigem Ton fuhr sie fort: »Wenn du also das Gefühl hast, dass an dem Unfall irgendwas faul war, wenn du auch nur den geringsten Verdacht hast, dann rede, Mann!«
Schweißüberströmt und mit gesenktem Kopf flüsterte der Fahrer: »Ich weiß nicht … Ich weiß nicht … Ich hab schon den Eindruck, dass da was nicht normal war …«
»Was?«
»Ich weiß es nicht. Ich bin auf einen Schlag eingeschlafen … So wie …«
»So wie was?«
»Wie auf Kommando … Das ist das Gefühl, das ich hatte …«
Diane hielt den Atem an. Ein dunkler Abgrund tat sich auf, und gleichzeitig erblickte sie ein Licht. Hell und diffus schoss ihr der Gedanke durch den Kopf: Auf die eine
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