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Der steinerne Kreis

Der steinerne Kreis

Titel: Der steinerne Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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auf den Chef warten.«
    Durch die gläserne Wand des Büros konnte Diane in die Autowerkstatt sehen. Die Mauern waren so schwarz, dass sie das Licht der Deckenstrahler zu absorbieren schienen. Im Hintergrund ertönte ein metallisches Klirren, irgendwo ächzte eine schlecht geschmierte Winde wie eine gequälte Lunge. Diane hatte schon immer einen dumpfen Widerwillen gegen Autowerkstätten empfunden. Wegen der eisigen Zugluft, die einem bis in die Knochen fuhr. Wegen des beißenden Gestanks nach Altöl. Wegen der Hände voller Wagenschmiere, die mit kaltem, scharfkantigem Werkzeug hantierten. In Werkstätten ging es so rau zu, dass man sich die Hände nicht mehr mit Wasser wusch, sondern mit Sand.
    Der dicke Mensch im blauen Overall hinter der Theke wiederholte seinen Spruch: »Für Genehmigungen bin ich nicht zuständig. Da müssen Sie den Chef fragen.«
    »Wann kommt er denn wieder?«
    »Er ist zum Essen weg. In einer Stunde vielleicht.«
    Diane heuchelte heftigen Unmut. In Wahrheit hatte sie eigens die Mittagszeit abgewartet in der Hoffnung, einen Subalternen der Sorte anzutreffen, wie er jetzt tatsächlich vor ihr stand. Das war ihre einzige Chance, an ihren Wagen heranzukommen, den der Gegengutachter noch nicht untersucht hatte.
    Sie seufzte tief. »Hören Sie«, sagte sie. »Mein Sohn liegt schwer verletzt im Krankenhaus. Ich muss sofort wieder zu ihm, aber vorher muss ich eine Bestätigung aus dem Auto holen. Unbedingt!«
    Der Mechaniker trat von einem Fuß auf den anderen, und man sah ihm an, wie gern er sich die lästige Kundin vom Hals geschafft hätte.
    »Tut mir leid. So lange der Sachverständige nicht da war, darf keiner an den Wagen. Wegen der Versicherung.«
    »Aber es ist ja gerade meine Versicherungsgesellschaft, die das Dokument von mir will!«
    Der Mann zögerte. Wenige Meter vor dem Büro fuhr ein Lastwagen mit einem Unfallwagen an der Kranwinde unter hydraulischem Schnauben die Abfahrt hinunter. Dianes Unbehagen wuchs.
    Schließlich murmelte der Mann vertraulich: »Haben Sie den Schlüssel dabei?«
    Sie ließ ihn in der Tasche klimpern.
    »Nummer 58«, raunte er ihr zu. »Zweites Untergeschoss. Der Parkplatz ist ganz hinten. Aber beeilen Sie sich, denn wenn der Chef kommt, während Sie dort sind, dann …«
    Sie huschte zwischen den Autos hindurch und hastete an den dunklen Betonmauern entlang durch die Werkstatt, vorbei an Öllachen und Hebebühnen. In der düsteren Umgebung schien das Neonlicht eine geheime, esoterische Bedeutung zu bergen – wie ein Gegenpol zum Tageslicht.
    Sie ging eine Schräge hinunter und gelangte auf einen zweiten Parkplatz. Die hier abgestellten Wagen sahen aus wie kalte Ungeheuer in einem metallischen Schlaf. Diane fühlte sich immer unwohler. Ihre Schuhsohlen waren klebrig und hafteten fest, ein Geruch nach verbranntem Öl stieg ihr in die Kehle. Sie las die halb verwischten Platznummern am Boden. Allein beim Gedanken an ihren zerbeulten Jeep verkrampfte sich ihr Magen. Aber sie musste etwas überprüfen. Ein Detail.
    Das Detail war der Sicherheitsgurt.
    Lucien war von seinem Sitz geschleudert worden, weil der Sicherheitsgurt nicht geschlossen war. Die Mörder – falls sie existierten – hatten sich also in dieser Hinsicht auf maximale Effizienz verlassen. Wie konnten sie sicher sein, dass Diane das Kind nicht angurten würde, diese elementare Sicherheitsmaßnahme einfach vergaß?
    Ein paar Meter weiter entdeckte sie jetzt den Toyota Landcruiser. Sie sah das aufgerissene Dach, die eingedrückte Windschutzscheibe, die zerbeulte linke Flanke und musste sich an einem Pfeiler festhalten. Sie krümmte sich und fürchtete, sich übergeben zu müssen, doch als ihr das Blut in den Kopf schoss, fand sie unverhofft ihr Gleichgewicht und eine gewisse Stabilität wieder. Sie nahm sich zusammen und ging auf den Wagen zu, bis sie vor der rechten Hintertür stand.
    Aus ihrer Handtasche zog sie eine Halogen-Taschenlampe und schaltete sie ein, dann öffnete sie die Tür. Wieder der Schock. Das eingetrocknete schwarze Blut, die Glasscherben wie Perlen über die Rückbank verstreut.
    Vor ihrem inneren Auge tauchten zwei widersprüchliche Bilder auf.
    Sie sah den gewebten Gurt und die Metallschließe neben Luciens Sitz liegen. Ein Sicherheitsgurt, der allem Anschein nach nicht angelegt worden war. Und gleichzeitig sah sie sich den Gurt schließen, nachdem sie Lucien in den Wagen gesetzt hatte. Aber das war nichts Neues: Während der vergangenen Tage war ihre Überzeugung immer

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