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Der steinerne Kreis

Der steinerne Kreis

Titel: Der steinerne Kreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Versuch, die widerspenstige Haarsträhne zu bändigen. Kamil schien Dianes Blutergüsse und Pflaster gar nicht zur Kenntnis zu nehmen – das war nicht seine Welt.
    »In der griechischen Antike«, antwortete er, »war es eine Legende. Heute ist es Realität. Die Menschen versuchen tatsächlich den Sternen ihre Geheimnisse zu stehlen. Die Archive des TK 17 lagern in einem Anbau des Kurschatow-Instituts im Süden der Stadt. Sie zahlen mir einmal Volltanken, und ich fahre sie hin.«
    Diane warf ihm ein strahlendes Lächeln zu. Er hatte bereits kehrtgemacht und ging auf die lichtüberflutete Drehtür zu. Sie heftete sich an seine Fersen, während sie in ihren Parka schlüpfte. Nichts vermochte ihre Stimmung zu beeinträchtigen. Sie hatte es im Gespür: Dieser Moskau-Besuch versprach ergiebig zu werden.
     
     
     
KAPITEL 45
     
    Kamil fuhr einen heruntergekommenen R5, dem er jedoch offenbar noch immer Höchstleistungen abringen konnte. Nach einigen Kurven bog das Auto in eine achtspurige Prachtstraße ein. Diane erinnerte sich an das neblige Viertel mit den vielen Kirchen, das sie in der vergangenen Nacht durchquert hatte; wie völlig anders jetzt alles aussah! Zu beiden Seiten der breiten Straße reihten sich Backsteinblocks, Würfel mit gläsernen Fassaden und regelrechte Wolkenkratzer in einer endlosen Fluchtlinie schnurgerade aneinander.
    Sie überquerten den Fluss und kamen zu einem großen Platz, über den der Verkehr donnerte. Auf die Kolossalbauten folgten Schlafstädte in tristen Farbtönen, die das Sonnenlicht zu verschlucken schienen, um ihre eigene Trostlosigkeit zu nähren. Sie kamen an Spielbanken vorbei, an einem Bahnhof mit marmorner Fassade, am Stadion von Dynamo Moskau. Dann wechselten sie zu einer anderen breiten Straße, in die Fußgängerwege mündeten.
    Voller Staunen beobachtete Diane die Menschenmenge. Ströme von Tschapkas, Mützen, Schals, aufgestellten Fellkragen präsentierten sich in allen Materialien, allen Farben: Wolle, Filz, Leder, Pelz … Durch die angelaufenen Scheiben gewannen die farbigen Flecken, wie kristallisiert von der Kälte, an Präzision und Leben. Sie dachte an die Klischeevorstellung von den trübseligen Mienen, den traurigen Gestalten in Moskau und fand nichts davon bestätigt, im Gegenteil – diese Vielfalt wirkte auf sie belebend, wie ein Tonikum. Ihr war heiß und kalt zugleich, und sie musste unwillkürlich an die eisgekühlten Schnapsgläser denken, die einem, noch ehe sie gefüllt wurden, die Aussicht auf glückselige Trunkenheit verhießen.
    Ohne den Blick von der Straße zu wenden, fragte Kamil: »Was genau wissen Sie über den TK 17?«
    »Nichts, oder so gut wie nichts«, erwiderte Diane. »Dass er der größte Kernfusionsreaktor der UdSSR war. Eine von den Sowjets entwickelte Technik zur Erzeugung eines Plasmas, um langfristig die Kernspaltung zu ersetzen. Ich weiß außerdem, dass der Forschungsreaktor 1972 den Betrieb eingestellt hat und der damalige Leiter ein Physiker asiatischer Herkunft war, ein gewisser Jewgenij Talich, der irgendwann in den Achtzigern in den Westen übergelaufen ist.«
    Der junge Physiker glättete seinen Schnurrbart. »Und wieso interessieren Sie sich dafür?«, fragte er.
    »Ich mache eine Reportage über sowjetische Forschungsprojekte«, improvisierte Diane. »Die Tokamaks sind ein Gebiet, das bei uns nicht sehr bekannt ist, und …«
    »Warum der TK 17?«
    Darauf wusste sie keine Antwort. Doch dann fiel ihr das Foto von dem kleinen Mann mit seiner alten Tschapka wieder ein, und sie sagte: »Mich interessiert vor allem Jewgenij Talich. Ich würde ihn gern porträtieren, sozusagen exemplarisch für die damaligen Wissenschaftler.«
    Der Russe bog auf die Umgehungsstraße ein. In der Sonne wirkten die schwärzlichen Abgaswolken und die schmutzigen Farben der Fahrzeuge noch düsterer als in der Nacht zuvor. In seinem erstaunlich akzentfreien Französisch antwortete Kamil: »Talich ist eher atypisch für die russische Landschaft. Er war sozusagen die Rache der asiatischen Völker am Sowjetreich. In der gesamten Geschichte des Kommunismus gab es keinen zweiten seines Kalibers. Vielleicht noch Schugderdemidyn Gurragtschaa, der erste mongolische Kosmonaut, aber das war 1981, und da hatten sich die Zeiten schon geändert …«
    »Woher stammt denn Talich?«
    »Er ist Tsewene.«
    Diane fuhr auf. »Sie meinen, er stammt aus derselben Gegend, wo der Tokamak steht?«
    Kamil stieß einen halb verärgerten, halb belustigten Seufzer aus. »Ich sehe

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