Der sterbende Detektiv - Roman
jedenfalls viele von uns, haben eine Schwäche für so was. Burschen, die gelitten haben, aber nicht unterzukriegen sind. Die sind eigentlich unschlagbar.«
»Und?«, meinte Johansson, der gerade siebenundsechzig
Jahre alt geworden war, der nie sonderlich gut ausgesehen hatte, aber doch immer besser, bis neulich, bis vor knapp einem Monat. »Und die Schlussfolgerung?«, fragte er.
»Ich bin dreiundzwanzig«, sagte Matilda. »Wenn sich Joseph Simon für mich interessieren würde und sein Charakter seinem Aussehen entspräche, selbst wenn er keine Öre besäße, dann wow!«
»Was, wow?«, fragte Johansson.
»Dann würde ich mich ihm zu Füßen werfen, Rückenlage, oder wie er es wünscht«, sagte Matilda.
»Ach, das würden Sie?«, meinte Johansson. Das erklärt vielleicht auch die Tätowierungen und Ringe, dachte er.
»Ja, das würde ich. Außerdem habe ich eine Frage«, sagte sie und nickte in Richtung der Kartons, die auf dem Fußboden in seinem Arbeitszimmer standen.
»Und?«, fragte Johansson. »Ich höre.« Obwohl er bereits wusste, worum es ging.
»Der Inhalt dieser Kartons handelt von seiner kleinen Tochter Yasmine. Oder?«
»Ja«, sagte Johansson. »Von seiner Tochter Yasmine.« Sie wohnt heutzutage in den Kartons, die auf dem Fußboden in meinem Arbeitszimmer stehen, dachte er. Und mehr, als ihr ihre Haarspange zurückzugeben, ist mir bislang nicht geglückt.
»Viel Glück«, sagte Matilda. »Ich hoffe, dass Sie den Täter erwischen. Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie wissen, wer es war?«
»Warum?«, fragte Johansson. Damit du ihm Arme und Beine ausreißen und ihn zu Hackepeter verarbeiten kannst?, dachte er.
»Damit ich ihm die Augen auskratzen kann«, sagte Matilda. »Einfach mit den Fingernägeln, plopp, plopp.«
56
Freitagnachmittag des 30. Juli 2010
Im Auto auf dem Heimweg von der Krankengymnastik überlegte Johansson, wessen Schuld es eigentlich sei. Wessen Schuld es sei, dass selbst normale, nette, durchaus anständige Menschen sich unentwegt bereit erklärten, auf die schrecklichste Weise einen Menschen umzubringen, dem sie nie begegnet waren.
Wenn ich damals mit der Ermittlung betraut gewesen wäre, dann hätte der Täter natürlich spätestens nach einem Monat hinter Gittern gesessen, und abgesehen von den Dingen, die sich ohnehin nicht mehr ändern ließen, wäre uns alles andere erspart geblieben, dachte Johansson. Der Mörder wäre dem kollektiven Vergessen anheimgefallen, genau wie John Ingvar Löfgren, Ulf Olsson oder Anders Eklund. Sie lebten nur in den Köpfen derer weiter, die ihren Opfern nahegestanden hatten, und all jener, die Löfgren, Olsson und Eklund nicht auf diese ganz einfache Weise umgebracht hatten. Die die Möglichkeit erhalten hatten, mit ihrem lebenslangen Leiden weiterzuleben. Im Gegensatz zu uns anderen, die wir Abstand genug hatten, um vergessen zu können und es hinter uns zu lassen. Stattdessen wurde Evert Bäckström mit dem Fall betraut, und es geschah, was immer geschah, wenn Bäckström etwas in die Hand nahm.
Aber es war nicht nur Bäckströms Schuld, dachte er. Vielleicht war auch dieser verrückte Polizeichef schuld, der glaubte, als Fahndungsleiter arbeiten zu können, obwohl er keine Ahnung von einer normalen Vernehmung hatte und noch viel weniger davon, wie man während ihrer Durchführung etwas von Wert in Erfahrung brachte. Oder sein bester Freund, der Verlagsmann, der beraubt worden war und Prügel bezogen hatte, da er die falsche Gesellschaft nach Hause eingeladen hatte. Er war seine Brieftasche und das Abendkleid von Rita Hayworth losgeworden. Und zu alledem war ihm Evert Bäckström zugeteilt worden, der dafür sorgen sollte, dass ihm Gerechtigkeit widerfuhr.
Das war ja wohl kaum Ebbes Schuld, dachte Johansson. Dass er es seinem besten Freund erzählte, war ja vielleicht nicht so merkwürdig, wenn man bedachte, wie sehr ihn Bäckström gedemütigt hatte.
Vielleicht war es ja nicht einmal Evert Bäckströms Schuld, dachte er, sondern viel schlimmer, seine eigene Schuld, weil es ihm nicht gelungen war, Leute wie Evert Bäckström vom Polizeiwesen fernzuhalten. Jener Organisation, an deren Führung er während seiner letzten zwanzig Jahren beteiligt gewesen war.
»Ich denke gerade über etwas nach«, sagte Johansson und nickte seiner Fahrerin Matilda zu.
»Ich höre, Chef«, sagte sie.
»Was Sie da gesagt haben. Dass Sie dem Mörder von Yasmine die Augen auskratzen würden. Würden Sie das wirklich tun?« Denk jetzt genau nach, dachte
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