Der sterbende Stern
murmelte etwas wie: »Eine Schande, daß ich mein Wissen an Fremde vergeuden muß.« Danach brachte man ihnen zu essen und teilte ihnen mit, sie sollten sich ausruhen, da man sich bald auf den Weg machen wolle.
Im Zimmer war schlechte Luft. Stark war der Geruch der Bewacher widerlich; sie schienen ihm wie Schlangen zu riechen. Trotzdem gelang es ihm, ein wenig zu schlafen, bis Männer kamen, die ihm frisch geschmiedete Handschellen anlegten.
Als die Leuchte des Nordens über den Gipfeln stand, wurden sie aus dem Zimmer und über Gänge auf einen Hof geführt, in dem Männer und Tiere warteten. Die Männer trugen pelzgefütterte Lederkleider, und von den Gesichtern waren zwischen dichten Bärten und Pelzmützen nur die Augen zu sehen. Es mußten Harsenyi sein, dachte Stark, die im Dienst der Stabträger standen.
Einen Augenblick waren sich die Gefangenen ganz nah, und Gerrith konnte Starks Hand berühren und ihm zulächeln. Ein seltsames Lächeln. Ihm war, als habe sie sich von ihm verabschiedet.
21.
Stark und Gerrith mußten aufsitzen, und neben ihnen stellten sich je zwei Bewacher auf. Halks Bahre wurde zwischen zwei Tiere gehängt. Die meiste Zeit war er entweder besinnungslos oder lag in tiefem Schlaf. Trotzdem hatte man auch ihn mit Handschellen gefesselt.
Gelmar hatte einen Reiseumhang angelegt und trat an die Bahre. »Deckt ihn gut zu«, sagte er zu dem schönen Aufpasser. Dann schwangen er und die anderen Stabträger sich in die Sättel. Eine thyranische Begleitmannschaft trampelte heran, von den unvermeidlichen Trommelschlägen unterstützt. Der Reiterzug setzte sich in Bewegung.
Sie ließen ein Stadttor hinter sich und wandten sich nach Norden auf die blitzenden Hexenfeuer zu. Die Begleitmannschaft blieb am letzten Wachtposten zurück und marschierte klirrend zurück in die Stadt.
Der Weg vor ihnen stieg langsam zur Paßhöhe an. Irgendwo auf der anderen Seite des Gebirges lag die Zitadelle. Stark dachte, daß er sich ihr so leichter nähern konnte, als er es sich vorgestellt hatte. Wenigstens mußte er sich keine Gedanken über die Nordhunde machen.
Hier war seit Jahrhunderten kein Wagen gefahren, und der Weg war schmal. Die harten Hufe der kleinen Tiere klapperten über den hartgefrorenen Boden. Der Himmel glühte in den prächtigsten Farben. Es war hell genug, um die Formen deutlich erkennen zu können, die sich auf der Paßhöhe drängten.
Seit Urzeiten hatten Wind und Wetter, Frost und Wärme an den Felswänden genagt und gemeißelt, geglättet und poliert. Die Gestalten waren eisverkrustet, sahen aber im wechselnden Schein des Nordlichtes lebendig aus.
Starks Verstand war sich sicher, daß diese Ungeheuer nichts als zerfressener Fels waren, aber sein Gefühl sagte ihm, daß sich andere Wesen, die nicht aus Stein waren, in der Nähe befanden. Die Kinder der Mutter Skaith?
Es war nichts zu sehen, aber zwischen den wilden Felsformationen konnte sich ein Regiment ungesehen verbergen. Doch Stabträger und Gefolgsleute bewegten sich zuversichtlich weiter. Wenn dort etwas wartete, so kannten sie es und fürchteten es nicht.
Gerrith ritt vor ihm, saß still mit gesenktem Kopf auf dem Tier. Er hätte gern gewußt, was in ihr vorging.
Dicht vor der Anhöhe ragte eine Felsnadel in der Gestalt eines Betenden auf. Sie stand so schräg, daß man meinen konnte, sie müsse jeden Augenblick niederbrechen. Zu ihren Füßen standen unregelmäßige Gruppen verhüllter Gestalten, die dem Beter zu lauschen schienen.
Drei der Gestalten bewegten sich schließlich, lösten sich vom Gestein und versperrten die Mitte des Passes.
Die kleinen Tiere scheuten plötzlich und schnaubten. Der Reiterzug hielt unter der schiefen Felsnadel an.
Gelmar ritt an die Spitze. »Kell à Marg«, sagte er. »Tochter der Skaith.« Seine Stimme war ausdruckslos, als müsse er sich beherrschen. »Fenn. Ferdic.«
Die Gestalten hatten sich mit Umhängen gegen den Wind geschützt, die Köpfe waren jedoch unbedeckt und trugen schmale goldene Kronen. Die der vordersten Gestalt war mit einem großen, rauchfarbenen Edelstein verziert. Die drei Gesichter hatten etwas Merkwürdiges und wirkten im Schimmer des Nordlichts sehr blaß.
Kell à Marg sagte: »Gelmar.« Die Stimme klang metallisch, war aber eine Frauenstimme, befehlsgewohnt und herablassend. Sie konnte es mit Gelmar aufnehmen, dachte Stark. Ihm war klar geworden, was an den Gesichtern merkwürdig war. Sie waren von feinem weißen Pelz überzogen, und die Nasen waren ein
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